«Man drohte mir in Tibet, mit Gefängnis, weil ich politischer Aktivist war. Ich wurde von der Polizei brutal geschlagen, auf einem Ohr höre ich seither nichts mehr. Ein Bekannter organisierte schliesslich einen Schlepper aus Nepal. Von der Schweiz wusste ich gar nichts, ausser dass ich hier sicher bin. Die ersten Jahre waren schwierig, aber in Flüchtlingszentren konnte ich Deutsch lernen. Später fand ich ein Praktikum in einer Käserei in Zäziwil BE. Anschliessend bot mir mein Chef eine Lehre als Logistiker an, die ich mit Freude angenommen habe. Als aber im Juli 2020 der negative Asylentscheid kam, musste ich sie abbrechen. Ich möchte unbedingt weiterarbeiten, es ist schlimm für mich, dass ich meine neue Familie nicht selber unterhalten und ernähren kann. Wie es meinen Verwandten in Tibet geht, weiss ich nicht. Während zwei Jahren sprach ich regelmässig mit meinem Vater, aber nie über Politisches, denn die Polizei hört mit und hätte eingegriffen. Dann auf einmal war seine Nummer blockiert. Das war vor rund einem Jahr. Leider habe ich seitdem keine Ahnung, was geschehen ist oder wie es ihm geht.»
Auch seine Frau Nima A.* (35) leidet unter der Ungewissheit. Sie lernte ihren Mann in der Schweiz kennen und lieben: «Ich engagierte mich in meiner Heimat politisch gegen die chinesische Regierung. Von dieser werden wir seit Jahrzehnten unterdrückt, weil sie die Selbstständigkeit Tibets nicht anerkennt. Aktivisten leben sehr gefährlich, ihnen drohen Gefängnis und Tod. Doch auch die Familien der Aktivisten werden bedroht. Deswegen flüchteten mein Bruder und ich nach Indien. Da wir dort illegal waren, hatte er allerdings stets Angst. Mein Bruder erfuhr dann, dass es in Europa Länder gibt, in denen ich Schutz vor China beantragen kann. Über einen Schlepper kam ich 2013 in die Schweiz. Ich bin hier zur Schule gegangen und habe Deutsch gelernt. Bei einem Besuch des Dalai Lama in Genf habe ich 2016 Tenzin kennengelernt, ein Jahr später wurde unser erster Sohn geboren. 2019 kam unser zweites Kind zur Welt. Uns gefällt es hier sehr, aber ich vermisse meine Familie in Tibet extrem. Aber nur solange ich keinen Kontakt mit ihnen habe, sind sie sicher. Jetzt geht es darum, mir mit meiner eigenen Familie ein Zuhause aufzubauen. Darum hoffe ich sehr, dass wir in der Schweiz bleiben können. Ich möchte meinen Kindern eine bessere Zukunft bieten können, als ich sie hatte.»
*Namen geändert
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