Aktionsplan Wohnungsknappheit
Bund setzt auf Verdichtung und schnellere Verfahren

Guy Parmelin stellt am Dienstag Massnahmen gegen die Wohnungskrise vor. Im Zentrum steht die Angebotsseite: Es soll mehr und schneller gebaut werden.
Publiziert: 11.02.2024 um 01:05 Uhr
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Aktualisiert: 12.02.2024 um 09:31 Uhr
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Warten in Seebach: Hunderte wollen zur Wohnungsbesichtigung im Zürcher Aussenquartier.
Foto: Blick
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Peter AeschlimannRedaktor

Ein Bild aus der vergangenen Woche bringt die Misere auf den Punkt: Hunderte Interessenten stehen sich für eine Wohnungsbesichtigung im Zürcher Aussenquartier Seebach die Beine in den Bauch.

Mit der Warteschlange, die gegen Abend auf 150 Meter angewachsen ist, nimmt auch die Verzweiflung zu. So etwas habe er noch nie gesehen, sagt einer, der sich ohne viel Hoffnung eingereiht hat. Kein Zweifel: In der Schweiz herrscht Wohnungskrise.

Problem kann nicht nur vom Bund gelöst werden

Der Bund hat das Problem erkannt. Im Mai bat Wirtschaftsminister Guy Parmelin (64) die zentralen Akteure an einen runden Tisch. Vertreterinnen und Vertreter der Kommunen, der Immobilienbranche oder von Interessenverbänden fassten den Auftrag, Massnahmen auszuloten, die der Wohnungsknappheit entgegenwirken sollen.

Am Dienstag ist in Bundesbern die zweite Gesprächsrunde geplant. Im Anschluss will SVP-Magistrat Parmelin Ergebnisse präsentieren. Eine aktuelle Version des «Aktionsplans Wohnungsknappheit» liegt Blick bereits vor. Im Vorwort schreibt der Bundesrat: «Die Wohnraumversorgung ist für die wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung unseres Landes von grosser Bedeutung.» Wie Nahrung, Arbeit oder Bildung sei auch Wohnen ein Grundbedürfnis.

Doch schon im nächsten Abschnitt folgt ein Dämpfer für all jene, die einen grossen Wurf erwartet haben. Niemand könne die Herausforderung der sich abzeichnenden Wohnungsknappheit alleine lösen – «erst recht nicht der Bund».

Die Lösung liege in einem ausgewogenen Mix von Massnahmen, der von allen Akteuren getragen werde. Das Papier empfiehlt 35 Massnahmen zur Umsetzung, drei weitere sollen geprüft werden. Weil der Rückgang der Bautätigkeit ein wesentlicher Grund der sich abzeichnenden Wohnungsknappheit sei, steht die Steigerung des Angebots im Fokus.

Wohnungsknappheit wird sich noch mehr zuspitzen

Seit drei Jahren verringert sich der Bestand freier Wohnungen beinahe überall im Land. Gemäss Bundesamt für Statistik betrug der Leerstand im letzten Sommer nur 1,15 Prozent (siehe Grafik). In der Stadt Zürich, wo Angebot und Nachfrage stärker als anderswo auseinanderklaffen, waren es mikroskopische 0,06 Prozent.

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Und die Aussichten bleiben düster. Raiffeisen hat die auf den Immobilienportalen ausgeschriebenen Wohnungen gezählt. 34'000 sind es zurzeit, so wenige wie seit zehn Jahren nicht. Das Angebot ist innert zwei Jahren um die Hälfte zurückgegangen, die Baubewilligungen für Wohnungen sackten auf ein 20-Jahres-Tief. «Das bedeutet nichts anderes, als dass sich die Wohnungsknappheit in den nächsten Jahren weiter verschärfen wird», schreibt Raiffeisen-Chefökonom Fredy Hasenmaile.

Schnellere Baubewilligungsverfahren und Verdichtung

Die Teilnehmer des rundes Tisches wollen auch bei der Verdichtung ansetzen, der intensiveren Nutzung von Siedlungsflächen, etwa durch höhere Gebäude. Zudem sollen Gemeinden bei der Erarbeitung von Strategien zur räumlichen Entwicklung unterstützt werden.

Es stelle sich die Frage, ob die Trennung von Arbeits- und Wohnzonen an geeigneten Orten gelockert werden kann, so der Aktionsplan weiter: «Damit liessen sich z. B. auch Büro- und Hotelimmobilien einfacher zu Wohnungen umnutzen.» Es soll eine Studie zur Ermittlung von Potenzial und Grenzen einer höheren Durchlässigkeit und Durchmischung in Auftrag gegeben sowie eine Anpassung der kantonalen Raumplanungs- und Baugesetze geprüft werden.

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Einen zweiten Schwerpunkt setzt der Aktionsplan bei der Stärkung von Baubewilligungsverfahren, die derzeit länger dauern denn je. Besonders ärgerlich seien sogenannte querulatorische Einsprachen – offenbar missbräuchliche Einsprachen, die einzig der Verzögerung von Projekten dienen. Diese sollen unter anderem mit einer Kostenauflage eingedämmt werden. Zudem empfiehlt der runde Tisch die Erstellung eines juristischen Gutachtens, das aufzeigt, wie solche Einsprachen zu reduzieren wären, ohne dass dabei der Rechtsschutz infrage gestellt wird.

Nicht in den Aktionsplan geschafft haben es verschiedene Massnahmen, die vom Mieterverband oder den Wohnbaugenossenschaften gefordert werden. Verworfen wurde etwa der Plan, einen Fonds zu schaffen für den Erwerb von Liegenschaften für gemeinnützige Wohnbauträger. Grund: «Angespannte Finanzlage des Bundes.»

Mieterverband ernüchtert

So beschränkt sich der insgesamt 18 Seiten umfassende Aktionsplan im Grossen und Ganzen auf Empfehlungen zur Erstellung von Analysen und Leitfäden, Ideen zur Stärkung des Dialogs oder Projekten zur Förderung des Erfahrungsaustauschs.

Ernüchtert zeigt man sich deshalb beim Mieterverband. Hauptproblem seien die hohen Mieten, sagt Mieterverbandspräsident Carlo Sommaruga (64) zu Blick. Im Aktionsplan werde dies weitgehend ausgeblendet. «Die viel zu hohen Renditen, welche Vermieter erzielen, werden mit keinem Wort erwähnt», kritisiert der SP-Ständerat aus Genf.

In der Bundesverfassung steht, dass die Landesregierung in Krisen auf dem Wohnungsmarkt Massnahmen ergreifen kann. Das tue sie mit diesem Aktionsplan nicht, sagt Sommaruga. Das Papier sei weit davon entfernt, eine taugliche «Roadmap» zu sein. Griffige Massnahmen fehlten, es handle sich um eine «ambitionslose To-do-Liste».

Wille zum raschen Handeln fehlt

Ganz anders sei man vorgegangen, als sich in der Schweiz eine Strommangellage abgezeichnet hatte, so Sommaruga. «Da waren Bundesrat und Parlament in der Lage, mit dem Mantelerlass sehr schnell Lösungen aufzugleisen.» Bei der Wohnungsknappheit fehle dieser Wille zum raschen Handeln offenbar. «Deshalb bleibt die Situation auch in den nächsten fünf bis zehn Jahren prekär.»

Mehr Kredit bekommt Parmelins Aktionsplan von den Kantonen. «Wer Wunder erwartet, wird enttäuscht», sagt der Freiburger SP-Staatsrat Jean-François Steiert, Vizepräsident der Bau-, Planungs- und Umweltdirektorenkonferenz. Es sei die Summe verschiedener mehrheitsfähiger Massnahmen, die zum Erfolg führe. «Ein einziges Rezept für die ganze Schweiz gibt es nicht.»

Den Kantonen sind besonders die querulatorischen Einsprachen ein Dorn im Auge. Verfahren, die oft erst nach langer Zeit vor Bundesgericht enden. Der Bund solle prüfen, wie die Gesetze so angepasst werden könnten, damit diese in Zukunft weniger würden, so Steiert. «Wenn jemand eine grosse Summe in die Hand nimmt, bloss um sich zehn Jahre freie Sicht auf die Voralpen zu sichern, geht das nicht.»

Unzufrieden mit dem Resultat des runden Tisches äussert sich dagegen Rebecca Omoregie, Vizedirektorin beim Verband Wohnbaugenossenschaften Schweiz. Zwar seien sich alle einig, dass Handlungsbedarf bestehe, konkrete Massnahmen würden aber nicht ergriffen. «Wir appellieren deshalb an die Kantone, gegen die Wohnungsnot vorzugehen. Etwa mit der Festlegung von Mindestanteilen an preisgünstigen Wohnungen bei Mehrausnützungen.»

Der Aktionsplan in seiner jetzigen Fassung sei eine Sammlung von Empfehlungen und Analysen, sagt Omoregie. «So lösen wir die Probleme nicht.»

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