Bürgerkriegsähnliche Krawalle erschütterten Deutschland in der Silvesternacht, und alle fragten sich: Wer tut so etwas? Doch der Berlin-Korrespondent der ARD-«Tagesschau» sprach nicht über die Täter, sondern faselte etwas von «gruppendynamischen Prozessen», die mit dem «gesamtgesellschaftlichen grossen Druck nach zwei Jahren Pandemie» zusammenhingen.
Dabei sind die Fakten klar: Die meisten Angriffe kamen von jungen Männern mit Migrationshintergrund. Hunderte attackierten Polizisten, Rettungssanitäter und Feuerwehrleute mit Böllern, Raketen und Wurfgeschossen. Ein Drittel der 145 Verhafteten von Berlin waren Deutsche, ein Drittel Afghanen und Syrier, ein Drittel stammt aus 15 weiteren Nationen.
Daraus zu folgern, alle Migranten seien gewalttätig, wäre natürlich Unsinn. Noch viel unsinniger aber ist es, das Thema Einwanderung zu tabuisieren – Differenzierung ist wichtig, um Migranten zu schützen, die gut integriert sind, Deutsch lernen, eine Ausbildung machen.
Doch wenn Migranten Hilfs- und Ordnungskräfte angreifen, diskutieren deutsche Politiker vielfach lieber über ein Böllerverbot als über Migration. Weil sie fürchten, sonst als ausländerfeindlich oder gar rassistisch dazustehen.
Wozu das führt, sieht man in Schweden. Dort waren Migranten jahrzehntelang willkommen wie nirgendwo sonst in Europa. Über Probleme zu reden, war unter der sozialdemokratischen Regierung ein Tabu. Morde, Gang-Kriminalität und Stadtviertel, in die sich Polizisten nicht mehr hineintrauten, sorgten für Wut in der Bevölkerung. Heute sind in Stockholm die Konservativen an der Macht, unterstützt von den ultrarechten Schwedendemokraten. Und Schweden gilt in Europa als Musterbeispiel missglückter Integrationspolitik.
Auslandredaktor Guido Felder (58) recherchiert derzeit für Blick in Schweden – seine Reportage lesen Sie hier am Montag. Schon im morgigen SonntagsBlick äussert sich der Islam-Kritiker Hamed Abdel-Samad (50). Er sieht Staat und Medien in der Verantwortung und fragt: «Wie soll man ein Problem lösen, wenn man es nicht einmal benennen will?»
In der Schweiz ist diese Frage beantwortet. Hier wird nichts tabuisiert. Auch nicht Probleme mit Migranten. Die Polizei nennt in ihren Meldungen die Herkunft von Verdächtigen und Tätern. Dank der direkten Demokratie sind wir harte politische Auseinandersetzungen gewohnt; Bürgerinnen und Bürger sind fähig, auch schwierige Themen richtig einzuordnen. Die Medienlandschaft ist breit aufgestellt, von rechts wie der «Weltwoche» bis links wie der «Wochenzeitung» – und vielen Titeln in der Mitte. Wollte die Politik etwas unter den Tisch wischen, würde garantiert jemand eine Volksinitiative lancieren.
In diesem Punkt kann Europa von der Schweiz lernen: dass es richtig ist, Probleme offen anzusprechen – weil das zu besseren Ergebnissen führt als jede Tabuisierung.