Keine Frage: Die emotionalste Geschichte dieser Woche hatte der Zürcher «Tages-Anzeiger»: Amanda Pieper (30) erzählt, wie sie am Mittag des 5. November ohne zu zögern in die eiskalte Limmat stieg, um den Fahrer eines Autos zu retten, der das Geländer durchbrochen hatte und im Fluss gelandet war.
«Mein Körper schaltete in den Aktionsmodus», so die Flugbegleiterin aus Los Angeles. Sie habe nicht überlegt, ob das Wasser zu kalt oder die Strömung zu gefährlich sei. «Ich wusste nur, da ist mindestens eine Person im Wagen – und ich kann davon ausgehen, dass es eine Weile dauern wird, bis die Sanität kommt. Bis dahin muss ich etwas tun.»
Und, noch erstaunlicher: Die US-Amerikanerin war in diesem Moment nicht allein, sondern eine von 15 Helferinnen und Helfern, die ihr eigenes Leben aufs Spiel setzten, um ein fremdes zu retten.
Es ist eine Heldengeschichte unserer Tage. Und sie steht in auffälligem Kontrast zu all dem Egoistischen, Bösen und Grausamen, mit dem wir ständig konfrontiert sind, gerade auch in den Schlagzeilen dieser Woche:
- Der belarussische Diktator Alexander Lukaschenko (67) lässt Tausende Migranten aus Afrika und dem Nahen Osten einfliegen, um sie als Druckmittel gegen EU-Sanktionen einzusetzen – dass diese Menschen jetzt bei minus 10 Grad hungernd vor dem Stacheldraht der polnischen Grenze stehen, ist ihm egal.
- Fast jede zweite Frau in der Schweiz hat zu Hause bereits Gewalt erlebt, wie eine neue Studie belegt.
- Impfgegner hamstern Gratis-Tickets für die Konzerte der Corona-Impfwoche und gehen dann nicht hin, damit Stress, Stefanie Heinzmann und Co. vor leeren Rängen spielen müssen.
Ist der Mensch von Natur aus gut oder ist er böse?
Der Streit über diese Frage ist so alt wie die Schöpfung: Die Bibel sagt: «Das Trachten des Menschenherzens ist böse von Jugend auf.» Jean-Jacques Rousseau (1712–1778) sieht es genau umgekehrt. Für den weltberühmten Genfer Polit-Philosophen sind die äusseren Einflüsse schuld an allen Übeltaten. Der dänische Historiker Rutger Bregman (33) geht der Gut-Böse-Frage wissenschaftlich auf den Grund. Sein Fazit: Menschen, die grausam handeln, reden sich ein, dass sie auf der richtigen Seite stehen, sonst würden sie sich selbst nicht aushalten …
Wie immer Wissenschaftler, Philosophen, Kleriker oder Historiker urteilen mögen – fest steht: Im Alltag sind viele von uns bedeutend engagierter, mutiger und hilfsbereiter, als das Schlechte in der Welt vermuten liesse. Weil es jedem ein gutes Gefühl gibt, wenn er etwas Gutes tut.
Die ETH und die Universität Bern haben im Frühjahr ein spannendes Experiment unternommen. Sie legten in Zürich 200 Portemonnaies mit unterschiedlichem Inhalt aus. Das Resultat: 87 Prozent wurden zurückgegeben, immerhin 75 Prozent mit sämtlichem Geld darin.
Gibt es einen schöneren Beweis für das Gute im Menschen?
PS: Den 15 spontanen Rettern gelang es, das auf dem Dach liegende Auto mit vereinter Kraft zu drehen, die Scheibe einzuschlagen und den Fahrer zu retten. Amanda Pieper: «Heute denke ich: Es ist unglaublich, dass eine ganze Gruppe von Leuten, die sich nicht kennen, das zusammen hingekriegt haben.»