Laut einer ersten SRG-Trendumfrage sagen 78 Prozent Ja zur Pflege-Initiative, nur 15 Prozent sind dagegen, 7 Prozent noch unentschieden. Das Anliegen findet in allen politischen Lagern Unterstützung: am meisten bei Grün- und SP-Wählern, am wenigsten bei jenen der FDP – und selbst die sind zu 58 Prozent dafür.
Zwar dürfte der Ja-Anteil bis zum 28. November noch schrumpfen. Doch die Initiative hat grosse Chancen. Und das ist gut so. Ihre Annahme wäre richtig, wichtig und dringend nötig!
Denn die Pflegenden sind chronisch überlastet, erschöpft, frustriert. Zu wenige werden ausgebildet, zu viele verlassen den Beruf in jungen Jahren wieder. Derzeit sind mehr als 10'000 Stellen unbesetzt.
Am 20. März 2020 um 12.30 Uhr applaudierte die ganze Schweiz dem Pflegepersonal und sagte Danke für dessen aufopfernden Einsatz in der Corona-Pandemie. Doch dann passierte nicht mehr viel. Im Gegenteil, Bundesrat und Parlament lehnen die Pflege-Initiative ab. Bern argumentiert vor allem bürokratisch: Bei Löhnen und Arbeitsbedingungen brauche man keine Bundeslösung, sondern viele kantonale. Oder: Das Personal von Heimen, Spitälern und Pflegediensten dürfe «keine Sonderstellung in der Verfassung» bekommen.
Um die Ablehnungsfront zu stärken, locken Bundesrat und Parlament mit einer Milliarde Franken, die bei einem Nein sofort für die Ausbildung zur Verfügung stünde. Bei einem Ja hingegen drohten jahrelanger Streit über die Umsetzung und ein höchst ungewisser Ausgang …
Stimmbürgerinnen und Stimmbürger sollten sich davon nicht beirren lassen. Die Pflegenden lehnen den Gegenvorschlag ab und kämpfen für die Initiative. Auf sie sollten wir hören. Ihre drei wichtigsten Argumente:
- Eine milliardenschwere Ausbildungsoffensive verpufft, wenn weiterhin die Hälfte des Personals nach kurzer Zeit aus dem Beruf aussteigt.
- Die Initiative sorgt dafür, dass Arbeitsbedingungen menschenfreundlicher und Dienstpläne verlässlicher werden, zudem steigert sie die Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Vor allem aber sorgt ihre Annahme dafür, dass ausreichend Personal vorhanden ist.
- Künftig soll ein bestimmtes Verhältnis zwischen der Zahl von Patienten und jener von Pflegenden festgelegt sein. Dies verringere das Risiko von Komplikationen und gar Todesfällen.
Nicht zuletzt verlangt die Initiative eine angemessene Entlöhnung für Pflegeleistungen. Diese Forderung des Personals ist legitim. Seine Arbeit ist körperlich schwer und psychisch belastend. Der Initiative geht es aber in erster Linie um Arbeitsbedingungen, genügend Personal sowie das Wohl von Patientinnen und Patienten.
Die Initiative ist in all diesen Punkten glaubwürdig. Es wäre ein Schlag ins Gesicht sämtlicher Pflegerinnen und Pfleger, wenn ihre Forderungen nach besseren Arbeitsbedingungen mitten in der grössten Gesundheitskrise abgeschmettert würden.
Jeder von uns war oder wird leider irgendwann im Leben Patient oder Patientin. Ganz selbstverständlich erwarten wir in jedem Fall die beste Pflege. Genügend gut ausgebildete, motivierte, anständig bezahlte Pflegende sind deshalb im Interesse jedes Einzelnen.