Die Rache des Diktators
Der Machthaber von Belarus, Alexander Lukaschenko (67), treibt ein abscheuliches Spiel. Er benutzt Migranten als Spielball, um sich an den von der EU verhängten Sanktionen gegen ihn zu rächen.
Seit Sommer lässt «der letzte Diktator Europas», wie Lukaschenko auch genannt wird, gezielt Migranten aus dem Nahen Osten und Afrika in sein Land einfliegen und verspricht ihnen die Weiterreise in die «warme und bequeme» EU. Damit macht er tüchtig Kasse: Deutsche Sicherheitsbehörden rechnen, dass er pro Person 5000 bis 7000 Euro verdient.
Es wird geschätzt, dass in Belarus zurzeit über 10'000 Migranten vor allem aus Ländern wie Syrien, Irak, Gambia, Mali und Afghanistan darauf warten, bis Lukaschenkos Leute sie nach Polen oder Litauen und somit in die EU schleusen. Da wollen sie aber nicht bleiben. Ihr Ziel: Deutschland.
Wegen der angespannten Lage hat Polen am Dienstagmorgen den Grenzübergang Kuznica geschlossen. Das Land hat entschieden, für 353 Millionen Euro die Grenzbefestigung in einen Grenzwall auszubauen.
Das Drama an der Grenze
Nach Erkenntnissen der polnischen Behörden halten sich gegenwärtig zwischen 3000 und 4000 Migranten im belarussisch-polnischen Grenzgebiet auf. Auf Videos war zu hören, wie polnische Beamte Menschen in einem provisorischen Zeltlager über Lautsprecher vor illegalen Grenzübertritten in die EU warnten. Staatsnahe belarussische Medien berichteten von angeblichen Schüssen auf polnischer Seite. Belegt ist dies aber nicht.
Es gibt immer wieder Versuche, die Zaunanlagen zu durchbrechen. Auf einem Video ist zu sehen, wie eine Gruppe von Männern versucht, mit einem Spaten und einem Baumstamm den Stacheldrahtzaun umzureissen. Ein polnischer Uniformierter setzt Tränengas ein.
Das Drama zieht sowohl Helfer als auch Rechtsextreme an. Aus Protest gegen die prekäre Versorgungslage der Migranten hatten am Samstag vor allem Frauen unter dem Motto «Mütter an der Grenze» vor dem örtlichen Hauptquartier der polnischen Grenzwacht in der östlichen Stadt Michalowo demonstriert.
Die rechtsextreme Kleinstpartei Der dritte Weg hat ihre Anhänger zu sogenannten Grenzgängen aufgerufen, um Migranten daran zu hindern, die Grenze zu überqueren. Die Polizei griff mehrere Männer auf, die Schlagstöcke und Pfefferspray bei sich hatten, auch ein Bajonett und eine Machete stellten die Beamten sicher.
Der Profit Russlands
Für EU-Politiker ist klar, dass Russland eine zentrale Rolle spielt. So sagte der deutsche Innenminister Horst Seehofer (72): «Wir sind überzeugt, dass der Schlüssel zur Lösung des Problems in Moskau liegt.» Russland ist ein enger Verbündeter von Belarus und will den Nachbarn eng an sich binden.
Mehr zum Drama an der belarussischen Grenze
Am Donnerstag hatte Präsident Wladimir Putin (69) betont, die seit über 20 Jahren existierenden Pläne für einen russisch-belarussischen Unionsstaat voranzutreiben. Lukaschenko, den die EU und die USA wegen Wahlfälschung nicht als Präsidenten anerkennen, hat sich bisher stets gegen eine engere politische Zusammenarbeit gesträubt.
Mit der Schaffung einer Union würden die Geld- und Finanzpolitik angepasst, das Steuersystem harmonisiert, ein gemeinsamer Markt für Erdöl und Erdgas geschaffen und die Landwirtschaftspolitik vereinheitlicht werden. Zudem wollen die Länder militärisch enger zusammenarbeiten, es sollen gemeinsame Ausbildungs- und Kampfzentren gegründet worden sein. Vom Tisch sind vorderhand ein gemeinsames Parlament und eine gemeinsame Währung.
Die Wut der EU
In Brüssel hat man Polen und Litauen Hilfe zugesagt und droht Belarus mit weiteren Sanktionen. Vor allem sollen auch Fluggesellschaften, die am Transport von Migranten nach Belarus beteiligt sind, bestraft werden. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (63) sagte, Belarus müsse mit der «zynischen Instrumentalisierung von Migranten» aufhören.
Auch der Fraktionschef der Europäischen Volkspartei im Europaparlament, der CSU-Politiker Manfred Weber (49), sprach sich für «verschärfte Sanktionen gegen Lukaschenko und sein Umfeld» aus. «Die europäische Botschaft muss sein: Es reicht!»
Kritisch äusserte Weber sich mit Blick auf die Türkei – eines der Länder, von denen aus Migranten mit Flügen nach Belarus gelangten. «Wenn der türkische Präsident Erdogan nun mittels zahlreicher Migranten-Flüge aus der Türkei nach Belarus neue Erpressungsversuche gegen die EU unternimmt, braucht es eine unmissverständliche Antwort.»
Die Auswirkungen auf die Schweiz
Auswirkungen des Flüchtlingsdramas in Belarus sind auch in der Schweiz zu spüren. Bisher allerdings nur leicht. Auf Anfrage heisst es beim Staatssekretariat für Migration (SEM): «Es gab in jüngster Zeit Einzelfälle, aber wir verzeichnen bislang keinen markanten Anstieg von Migranten aus diesem Gebiet.»
Laut SEM dürfte die Schweiz nicht unbedingt Zielland dieser Personen sein, sondern vor allem Deutschland. Wenn Migranten aufgegriffen werden, wendet die Schweiz das Dublin-Verfahren mit Polen oder Deutschland an, sofern die Personen vor der Einreise in die Schweiz in diesen Ländern ein Asylgesuch gestellt haben. Das heisst: Sie würden in das entsprechende Land zurückgeschickt.