Das Zuhause, in dem man sich wohlfühlt, ist für ein glückliches Leben unabdingbar. Wenn immer mehr Menschen in der Schweiz kein Zuhause mehr finden oder sogar aus ihren Wohnungen vertrieben werden, ist das ein gesellschaftliches Drama.
Wie im Fall von Ida (88) und Werner (84) Scheidegger, über den Blick diese Woche berichtete: Die beiden wohnen seit 55 Jahren in derselben Altbauwohnung im inzwischen hippen Zürcher Seefeld. Nun soll die Liegenschaft einem millionenteuren Neubau weichen. Das alte Ehepaar hat keine Chance, in der Nachbarschaft, in der es sein Leben verbracht hat, etwas Bezahlbares zu finden.
Bisher waren solche Schicksale ein Problem von Städtern. Mittlerweile gibt es im ganzen Land immer weniger freie Wohnungen. Die Mieten steigen und steigen. Und in drei Jahren werden 50'000 Wohnungen fehlen!
Der Bedarf nimmt zu, weil die Zuwanderung anhält – zugleich liegt die Zahl der Baugesuche so tief wie seit 25 Jahren nicht.
Es ist eine einfache Rechnung: Solange mehr Menschen in die Schweiz kommen, als Wohnraum neu entsteht, nimmt die Not zu. Und da Wohnen ein Grundbedürfnis ist wie Essen und Trinken, muss sich die Politik dringend dieses Notstands annehmen. Rezepte gibt es viele:
- Dichter, höher, breiter bauen
- Einsprachemöglichkeiten begrenzen
- Lärm- und Ortsbildschutz lockern
- Nutzung verlassener Industriebauten
- Neubau von Genossenschaftswohnungen
- Staatliches Limit für Mietzinssteigerungen
- Festgesetzte Mindestbelegung für Neubauten
Dies sind nur einige von vielen Ideen, die derzeit im Umlauf sind. Manche sind realistischer, andere weniger. Aber um eines kommt die Schweiz nicht herum: Es muss mehr gebaut werden!
Die Zuwanderung kann höher oder weniger hoch ausfallen, verschwinden wird sie nicht. Der Staat kann gewisse Eingriffe tätigen, das Bedürfnis nach mehr Fläche pro Person wird er nicht stoppen, genauso wenig den Trend zu mehr Single-Haushalten.
Daher gibt es nur eine Lösung: Bauen muss sich wieder lohnen!
Dazu sollte man die Gesetzeslage überdenken: Was ist so schlimm daran, wenn in den Städten höhere Häuser entstehen, Wolkenkratzer gar?
Auch die Schutzvorschriften gehören auf den Prüfstand: Muss wirklich jedes geschützte Haus auf ewig stehen bleiben? Kann man nicht ein Foto davon ins Museum hängen und neue Wohnungen bauen?
Die Möglichkeiten zur Einsprache sind ebenfalls zu überdenken: Sie sind ein wichtiges demokratisches Instrument – doch ist es nicht antidemokratisch, wenn sie nur dazu verwendet werden, sinnvolle Projekte jahrelang zu verzögern?
Der Schweiz muss es gelingen, die Bautätigkeit anzukurbeln. Eine Gesellschaft, die nicht allen Mitgliedern eine menschenwürdige Behausung bieten kann, ist in Gefahr. Denn sie verliert einen wesentlichen Grund, von allen akzeptiert zu werden.