Kommentar zum Frauenstreik
Bleiben wir wütend, bleiben wir mühsam

Die jüngsten Fortschritte in der Gleichstellungspolitik befeuern einen Backlash. Gut so, schreibt Lisa Aeschlimann, Reporterin beim SonntagsBlick. Denn es zeigt, dass sich tatsächlich etwas tut.
Publiziert: 11.06.2023 um 13:58 Uhr
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Aktualisiert: 12.06.2023 um 14:31 Uhr
Vier Jahre nach dem Frauenstreik 2019 hat die Stimmung gefühlt gedreht. Tenor: Es ist jetzt gut mit diesem Feminismus.
Foto: Keystone
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Lisa AeschlimannReporterin & Blattmacherin

Studentinnen wollen nur einen reichen Mann; Frauen reden sich bloss ein, diskriminiert zu werden – und das Patriarchat ist sowieso nur noch ein Phantom.

Vier Jahre nach dem Frauenstreik 2019 hat die Stimmung gedreht. Der Tenor heute: Es ist jetzt gut mit diesem Feminismus.

Angefeuert wird die Entwicklung von konservativen Feuilletonisten. So mühsam, so kräftezehrend dieser Backlash für viele auch sein mag, so sehr ist diese vermeintliche Gegenbewegung Teil des Prozesses.

Denn Wandel provoziert grundsätzlich Widerstand. Der gegenwärtige Rückschlag ist Ausdruck des Fortschritts. Es tut sich etwas, die Machtverhältnisse verschieben sich.

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Der Fortschritt war in den letzten vier Jahren allenthalben sicht- und spürbar: In Bundesbern kamen der Vaterschaftsurlaub und die Ehe für alle durch; Vorstösse für eine zunehmende Vereinbarkeit von Beruf und Familie sowie die Besserstellung der Frauen auf dem Arbeitsmarkt sind auf dem Weg. Möglich machte es auch die stärkere Vertretung der Frauen im Parlament.

Das ist aber nicht alles. Die Revision des Sexualstrafrechts und die breite gesellschaftliche Debatte darüber haben zu einem Umdenken geführt. Wir reden heute anders über sexuelle Gewalt als noch vor ein paar Jahren, erkennen Missbrauch rascher, sind sensibilisierter und differenzierter. Man darf sich aber nichts vormachen. Es bleibt noch viel zu tun. Die Rammstein-Debatte wird nicht die letzte ihrer Art sein.

Markus Theunert, Psychologe und Geschäftsführer von männer.ch sagte unlängst in einem Interview, das Kernprivileg der Männer sei die Illusion, nicht privilegiert zu sein: «Männer wachsen auf in der Gewissheit, der Mittelpunkt der Gesellschaft zu sein, der Massstab.»

Deshalb bedeute es für viele Angehörige des sogenannten starken Geschlechts eine ungeheure Provokation, wenn von ihnen eine Auseinandersetzung mit ihren seit Jahrtausenden ausgeübten Privilegien eingefordert wird.

Dieses Kernprivileg ist im Begriff, zusehends zu bröckeln. Meinungsmacher, die bisher so selbstbewusst wie selbstverständlich vorherrschende gesellschaftliche Denkmuster propagierten, sind mit anderen Weltbildern konfrontiert und müssen sich für ihren eigenen Mangel an Reflexion erklären.

Dank Frauen, die unnachgiebig und mitleidlos darauf hinweisen, dass die Arbeit noch nicht getan ist. Dank Frauen, die provozieren. Aber auch dank Männern, die sich provoziert fühlen.

In diesem Sinne: Bleiben wir wütend. Bleiben wir mühsam.

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