Sexuelle Belästigung
«Die Kunstbranche hat ein MeToo-Problem»

Die Künstlerin Anna Genger spricht über Macht und Machtmissbrauch. Auch an der Art Basel.
Publiziert: 11.06.2023 um 00:43 Uhr
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Aktualisiert: 12.06.2023 um 13:38 Uhr
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Die Künstlerin Anna Genger berichtet von ihren Erfahrungen auf der Art Basel.
Foto: Philipp Wente/laif
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Raphael RauchBundeshausredaktor

SonntagsBlick: Hat die Art Basel ein MeToo-Problem?
Anna Genger: Der Umstand, dass die Kombination von Geld, Macht und narzisstischen Egos problematische Dynamiken kreiert, ist kein spezifisches Art-Basel-Problem. Wir leben in einer Zeit, in der Orte ohne toxischen Machtmissbrauch erwähnenswert sind. Alles andere ist Standard.

Was haben Sie an der Art Basel erlebt?
2014 sass ich mit einem Sammler und einem Kurator in der Davidoff-Lounge und trank Champagner in rauen Mengen. Jedes Glas kostete 30 Franken, aber für uns war alles umsonst. Angetrunken, wie die Herren waren, fiel es ihnen wohl leicht, über ihre sexuellen Präferenzen zu reden. Ihnen machte es offensichtlich Spass, eine schüchterne Künstlerin, wie ich es damals war, zu schockieren. Fisting entwickelte sich schnell zu ihrem Lieblingsthema und ich wurde mit auffordernden Blicken gefragt, was ich denn selbst von Analsex halte.

Warum sind Sie nicht aufgestanden und gegangen?
Die Abhängigkeiten im Kunstmarkt sind enorm. Wer sich wehrt, gilt als kompliziert. Zweideutigkeiten, seien sie auch noch so perfide, lassen immer ein verbales Hintertürchen offen. Protestiert eine Frau, sei sie humorlos, habe alles einfach missverstanden, übertreibe masslos oder sei ohnehin nicht jung und attraktiv, um so viel Aufmerksamkeit zu verdienen. «Bist du jetzt ein Model oder was? Stell dich doch nicht so an», hat mir mal jemand gesagt. Die Galerien sind keine Hilfe, denn auch sie können sich den Luxus nicht erlauben, es sich mit reichen Sammlern zu verscherzen.

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Machten Sie sonst noch eine unangenehme Art-Basel-Erfahrung?
2016 wurde ich von einem meiner Sammler zu einem exklusiven Wochenende nach Basel eingeladen. Es würde eine kleine Gruppe von Baden-Baden im Privatjet zur Messe fliegen. Mich ärgert heute noch, wie einfach es war, mich zu beeindrucken. Ich war schliesslich schon 38 und keine 18 mehr. Aber Galeristen, Kuratoren und Sammler sind ein mächtiges Dreigestirn, die das Leben einer Künstlerin massgeblich verändern können. Sich dem bewusst zu entziehen, ist für die Karriere ein strategisch tödlicher Zug.

Wurde eine Gegenleistung erwartet?
Als ich fragte, wie die Übernachtung geregelt sei, schien der mich einladende Herr verwundert. Ich würde selbstverständlich in der Suite des Mannes übernachten, der den Jet bezahlt. Mir verschlug es die Sprache. Das wurde mit den Worten gekontert, dass ich für das Wochenende 2000 Euro bekäme und der Organisator der Reise keine hohen sexuellen Erwartungen hätte. Das sei wohl sein Ruf. Eine attraktive Begleitung, Gemeinsamkeit und normaler Sex mit Kuscheln.

Und dann?
Auf meine entrüstete Aussage, ich sei kein Escort, bekam ich zu hören, eine bekannte Kuratorin der Berliner Kunstszene hätte das auch schon gemacht, also solle ich mich doch bitte nicht so anstellen. Es sei ja allgemein bekannt, dass Frauen in meiner Branche immer in Geldnot wären. Ich habe das Angebot abgelehnt.

Hatten Sie berufliche Nachteile, weil Sie das Spiel nicht mitspielen wollten?
Natürlich. Es ist karriereschädigend, sich zur Wehr zu setzen. Wer als Künstlerin erfolgreich sein will, sollte nicht Nein sagen. Ab einem bestimmten Zeitpunkt habe ich im Raum Karlsruhe und Stuttgart keine professionellen Kontakte mehr knüpfen können. Ein Galerist hatte mich gebeten, meinem Arbeitsportfolio ein paar Nacktbilder dazuzulegen. Ich habe das nicht gemacht – und war danach eine Persona non grata.

Können Sie den Zusammenhang nachweisen?
Nein. Es ist natürlich einfach, es meinem mangelnden Talent zuzuschreiben. Darum geht es hier aber nicht. Ich habe in London an der weltweit renommiertesten Kunstschule meinen Master gemacht. Der damals amtierende Direktor meines Fachgebiets hat offen kommuniziert, dass er nur nette und unkomplizierte Studentinnen bei sich haben wolle. Ich wurde für seinen Studiengang fast nicht zugelassen, weil ich ihm als Deutsche als zu willensstark galt. Und damals war ich ein schüchternes Mäuschen mit Anfang 20.

Was sagt das über die Branche aus?
Es gibt Menschen, denen es wirklich um Kunst geht, aber wie in jedem Machtgefüge gibt es auch Leute, denen ihre Macht charakterliche Veränderung beschert hat. Für viele reiche Männer sind Escorts zu langweilig. Sich der Herausforderung zu stellen, Grenzen zu testen und zu verschieben, ist ein Kick, der immer aufregend ist.

Sie leiten mittlerweile in Hamburg ein Museum für historisches Sexspielzeug. Was hat es damit auf sich?
Ich habe die älteste Apotheke St. Paulis von meiner Mutter übernommen – das Gebäude ist eine Immobilie von 1861. Wir haben hier nach einem Projekt gesucht, das mit dem Rotlichtviertel, den räumlichen Gegebenheiten und meiner Kunst zusammenpasst. Meine Geschäftspartnerin Bianca Müllner und ich bemühen uns um einen offenen, kulturell anspruchsvollen Umgang mit Körperlichkeit.

Was heisst das?
In den Führungen sprechen wir auch über sexuelle Gewalt und wie man in der Geschichte der Menschheit damit umgegangen ist. Vielleicht verschliesse ich mir Türen mit der Ansicht, dass moralische Integrität, Kultur, Intelligenz, Bildung und Humor gut koexistieren können mit einer frei gelebten Sexualität. Aber durch diese Türen möchte ich auch nicht mehr gehen.

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