Milena Moser
Wie Victors Westerhase mich zum Weinen brachte

Das Heimweh überfällt mich aus dem Hinterhalt, mit einer Heftigkeit, die mich selbst überrascht. Mein anderes Leben greift nach mir, es packt mich, es reisst mich aus dem jetzigen heraus, das doch gerade so prallvoll von Glück ist.
Publiziert: 01.04.2024 um 06:00 Uhr
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Aktualisiert: 01.04.2024 um 10:28 Uhr
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Schriftstellerin Milena Moser (60) schreibt für Blick über das Leben. Sie ist Autorin mehrerer Bestseller. Ihr neustes Buch heisst «Der Traum vom Fliegen».
Foto: Barak Shrama Photography
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Milena MoserSchriftstellerin

Victor schickt mir die Einladung zu unserem, oder in diesem Jahr wohl eher seinem, traditionellen Osterfest. Er hat einen Westerhasen gezeichnet, komplett mit Cowboyhut und Sporen. «Findest du den nicht auch lustig?» Ich nicke und hoffe, dass er nicht merkt, dass ich mit den Tränen kämpfe. Ganz plötzlich vermisse ich nicht nur ihn, sondern auch unser gemeinsames Leben mit so einer geschliffenen Messerschärfe, dass es mir für einen Moment lang den Atem verschlägt. Und dann muss ich weinen. Während ein Teil von mir zuschaut und verwundert den Kopf schüttelt: Was ist denn jetzt los, Moser? Du bist doch jetzt gerade ganz besonders glücklich!

Gefühlen kann man nicht mit Logik begegnen. Muss man auch nicht: Sie ziehen auf und ziehen weiter, wie die Wolken am launischen Frühlingshimmel. 

Später, als Victor aufgelegt hat und ich seine Einladung an ein paar weitere Freundinnen weiterleite, beruhigt sich mein Herz schnell wieder. Die rotglühende Sehnsucht kühlt zu einem leichten Brennen ab. Ostern, denke ich. Klar, Ostern war immer schon einer meiner Lieblingsfeiertage, vor allem, als meine Kinder noch Kinder waren. Bis tief ins Teenageralter habe ich sie überredet, mit mir Eier zu färben und auch zu verstecken. Was kann ich sagen, ich bin auch nur teilweise erwachsen. Obwohl ich null handarbeitliche Fähigkeiten habe und meine Ostereier meist mit Gedichten bekritzle, weil mir zu allem anderen die Geduld und das Talent fehlen, liebe ich es. Ich liebe auch das Dekorieren der Wohnung, das verfrühte Abbrechen der Schokoladeohren von jedem einzelnen Osterhasen, das wochenlange Verarbeiten der hart gekochten Eier. Am allermeisten liebe ich aber das Verstecken der Ostereier. Es war mein grosses Glück, dass ich, nachdem meine Kinder endgültig aus dem Eiersuchalter heraus waren, mit Victor einen echten Kindskopf geheiratet habe. Und ich meine das im wahrsten und im besten Sinne des Wortes!

Er nutzt ja ohnehin jede Gelegenheit, um ein Fest zu feiern. Aber er teilt auch meine Aufregung, meine Freude an den Ritualen. Die von ihm bemalten Ostereier sind immer wahre Kunstwerke, dafür vergisst er gern, dass die Acrylfarbe durch die Eierschale dringt. Wir verstecken die Eier so gut, dass nicht einmal die frechen Waschbären, die die Nachbarschaft unsicher machen, sie finden. Dafür stolpern dann unsere Gäste Monate später darüber. Auch in den Jahren, in denen die Osterparty abgesagt werden musste, zogen wir diese Rituale zu zweit durch und amüsierten uns – wie Kinder. Genau.

Dieses Jahr feiere ich zum ersten Mal seit langem wieder mit meiner Familie, etwas, das ich mir seit Jahren wünsche. Vor allem jetzt, wo ein zukünftiger Eiersucher heranwächst. Mein Glück darüber ist so gross wie meine Sehnsucht. Beide Gefühle sind wahr, beide sind meine.

I wish I missed you, ich wünschte, ich würde dich vermissen, hat jemand auf einen Strassenrand in San Francisco gesprayt. Ich war mit einer Freundin unterwegs, die gerade Liebeskummer hatte und sich wünschte, sie würde den Abtrünnigen nicht vermissen. «Was für ein doofer Spruch», sagte sie. Doch ich verstand ihn anders. Man vermisst nur jemanden, den man sehr liebt. Und das ist immer ein Privileg. 

Ich putze meine Nase, finde noch ein einziges Ei in meinem Kühlschrank. Das wird jetzt gekocht und bemalt – oder wenigstens mit Filzstift bekritzelt.

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