Ob ich Tina kenne beziehungsweise kannte, werde ich gar nicht so selten gefragt.
Tina? Na, Tina Turner! In San Francisco ist bekannt, dass der Weltstar in der Schweiz lebte. Das verlieh meinem Land einen gewissen Glanz. Wie toll muss die Schweiz sein, dass «unsere» Tina dort hinzieht!
Natürlich kannte ich Tina Turner nicht, aber eine Freundin erzählte gern, dass sie sie einmal in einem Lebensmittelladen in Küsnacht gesehen habe, wo die Legende bescheiden wartete, bis sie an der Reihe war und ungeniert als «Frau Thörner» angesprochen wurde. Die Geschichte mochte wahr sein oder auch nicht. Aber ich bediente mich ihrer, um zu überspielen, wie wenig ich wirklich wusste.
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Dass sie gegen Ende ihres Lebens auch eine Nierentransplantation brauchte, und dass ihr Mann ihr diese Niere gespendet hatte, das erfuhr ich erst nach ihrem Tod. Und plötzlich fühlte ich mich ihr innig verbunden, oder eher noch ihrem Witwer, der ihr nach einem frustrierenden Jahr an der Dialyse eine seiner Nieren anbot. Sie sei geschockt gewesen, sagte Tina später in Interviews. Sie habe sich eigentlich bereits damit abgefunden, dass ihr langes, abenteuerliches und zumindest im letzten Drittel sehr glückliches Leben zu Ende sei. Aber ihr Mann habe das anders gesehen. Offenbar habe er einfach nicht ohne sie leben wollen. Ja, das kann ich nachvollziehen ...
Kürzlich nahm ich an einer Veranstaltung der Schweizerischen Nierenstiftung teil, wo ich mich mit Betroffenen und ihren Angehörigen zum Teil ausführlich austauschen konnte. Auch da spürte ich diese Verbundenheit wieder. Jede einzelne Begegnung, jede einzelne Geschichte erinnerte mich irgendwie an Victor. Wir tauschten Geschichten aus, verglichen Therapien und Medikamentenlisten, wir lachten mit dem schwarzen Humor der Verzweiflung über Fehldiagnosen und Leidenswege.
Und immer wieder sah ich Victor in den Gesichtern, den Geschichten, in dem stoischen Lebenswillen, dem Mut, mit dem immer neue Hürden genommen werden. Denn obwohl diese Krankheit so unterschiedlich verlaufen kann, ist sie immer eine langwierige Geschichte, deren Behandlung eine grosse Tapferkeit fordert, einen unermüdlichen Lebenswillen.
Die Niere leidet leise, fast ohne Symptome, sie ist keine Dramaqueen wie andere Organe. Ich stelle sie mir vor wie die Backstage-Crew eines Theaters, die still und heimlich ihre Arbeit tut, während die grossen Diven Herz, Hirn und Lunge vorne auf der Bühne die ganze Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Doch wenn die Crew erst streikt, bricht die ganze Vorstellung zusammen. Dann geht nichts mehr.
An diesem Informationstag wurde auch eine Statistik gezeigt: um wie viele Jahre sich die Lebenserwartung nach einer Transplantation verlängert, je nachdem, in welchem Alter sie stattfand. Sofort begann ich zu rechnen: Victor und ich haben also noch fünf Jahre. Und darauf bestehe ich. Die Chancen sind nicht schlecht. Seine Spenderniere funktioniert hervorragend. Und wenn nicht, immerhin haben wir dieselbe Blutgruppe. Vielleicht käme ich als Spenderin noch infrage. Tina Turners Ehemann gibt mir Hoffnung. Er war schliesslich auch über sechzig gewesen, als er eine seiner Nieren spendete ...