«Ich kann mich nicht erinnern, wann ich zuletzt so gelacht habe», sagt Theresa am nächsten Tag. Sie habe im Bett vor dem Einschlafen noch vor sich hingekichert, und jetzt komme es ihr fast vor, als habe sie Muskelkater in den Backen. Als sei ihr Gesicht es nicht gewohnt, die Mundwinkel nach oben zu ziehen. «Das kann doch nicht sein», sagt sie. «Habe ich das Lachen verlernt?»
Es wäre ihr nicht zu verdenken, sie hat nicht gerade einfache Jahre hinter sich. Und ehrlich gesagt weiss ich selbst nicht mehr, was an diesem besagten Abend so lustig war. Wir waren zu viert, wir redeten über dies und das, über allen möglichen Blödsinn, den wir in unseren Leben schon angestellt hatten, über peinliche Momente. Wir haben viel gelacht, das ist wahr. Aber ich habe am nächsten Morgen keinen Muskelkater im Gesicht. Seit ich mit Victor zusammenlebe, lache ich jeden Tag.
Anfangs war mir das genauso fremd wie meiner Freundin heute, genauso ungewohnt. Und wie ihr wurde mir schmerzlich bewusst, wie lange ich nicht gelacht hatte. Vermutlich, seit meine Kinder kleiner waren. Kinder bringen einen nicht nur zum Lachen, ihr eigenes unkontrollierbares Giggeln, Kichern, Laut-heraus-Lachen ist ansteckend und unwiderstehlich. Wie das «Fou rire», das uns als Teenager in peinlichen Momenten überwältigte. Aber was, wenn man allein lebt? Was, wenn man, wie meine Freundin es beschreibt, von der Arbeit und dem (amerikanisch langen) Arbeitsweg so erschöpft ist, dass man keine Energie mehr hat, um Freunde zu treffen, Hunde oder Kinder zu hüten oder gar den lokalen Comedyclub aufzusuchen?
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Lachen braucht nicht nur alle möglichen Muskeln. Humor ist selbst wie ein Muskel. Er muss aktiviert und täglich trainiert werden. Je mehr ich lache, desto öfter finde ich einen Grund dafür. Von Victor habe ich gelernt, dass das auch, oder gerade in schwierigen Momenten möglich ist. Nicht nur möglich: notwendig. Ich habe gesehen, wie er im Wartezimmer des Onkologen vor der ersten Konsultation Katzen auf das Whiteboard zeichnete, Katzen mit Stethoskopen und Chirurgenmasken, Katzen mit Skalpellen. Und wie der Arzt stutzte, als er hereinkam, wie sich seine Mundwinkel unwillkürlich anhoben, bevor er wieder eine dem Anlass angemessene Miene aufsetzte.
«Haben Sie verstanden?», wird Victor in solchen Momenten oft gefragt. Wenn er auf eine schlechte Nachricht nicht mit der erwarteten Dramatik reagiert. Das wird ihm zwischendurch auch immer wieder mal vorgeworfen: dass er zu fröhlich sei. Dass er zu viele Witze mache. Die Lage ist schliesslich ernst, persönlich und politisch. Das sagt auch meine Freundin, der ich zur Stärkung ihrer vernachlässigten Lachmuskeln ein paar dumme Filme schicke, in denen Katzen aus Küchenschränken fallen oder vor Gurken in die Luft springen. «Wie kann ich über so was lachen, wenn Kinder sterben?»
Ich zitiere einen anderen Viktor, Viktor E. Frankl nämlich, der in seinem das Herz ebenso zerreissenden wie erwärmenden Buch «… trotzdem Ja zum Leben sagen» schrieb: «Humor ist die Waffe der Seele im Kampf um Selbsterhaltung.» Humor ist kein Ignorieren oder Verschleiern der Realität, sondern ein Mittel, um sie auszuhalten. Eine Quelle der Kraft, um sie möglicherweise zu verändern. Lachen erlöst. Lachen befreit.
Oder, wie mein Victor sagt: «Lachen reisst den Nebel der Trauer auf, wenigstens für einen Moment.»