Milena Moser über die Zeit nach Krisen
Nach dem Sturm

Letzte Woche haben mich besorgte Nachrichten aus der Schweiz, aus Deutschland, Südamerika und von der Ostküste erreicht. Der kalifornische Wintersturm war offenbar international ein Nachrichtenthema. An uns ist er vorbeigezogen – wir hatten unser eigenes Unwetter.
Publiziert: 12.02.2024 um 00:00 Uhr
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Aktualisiert: 10.02.2024 um 17:54 Uhr
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Schriftstellerin Milena Moser (60) schreibt für Blick über das Leben. Sie ist Autorin mehrerer Bestseller. Ihr neustes Buch heisst «Der Traum vom Fliegen».
Foto: Barak Shrama Photography
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Milena MoserSchriftstellerin

Das Erste, was ich sehe, als ich nach einer Woche zum ersten Mal wieder das Haus verlasse, ist das eingedrückte Auto unserer Nachbarn, halb unter einem eingestürzten Baum begraben. War der Sturm wirklich so schlimm? Ich habe kaum etwas davon mitbekommen. Die Krankheit wickelte uns in ihre eigenen Spinnfäden, die Aussenwelt drang nur noch gedämpft zu uns durch.

Doch jetzt ist das Schlimmste überstanden, wettermässig und auch in unserem Mikrokosmos, und ich stelle mich den Dingen, die ich verdrängt habe. Unter anderem das Ferienhäuschen an der Küste, das ich vor Monaten für uns gemietet hatte. Und dessen Buchung nicht rückerstattbar ist. Warum mache ich so etwas, angesichts der Unberechenbarkeit unseres Lebens? Vielleicht aus Trotz. Um der Krankheit eine lange Nase zu drehen. Gemeinsame Reisen gehören zu den vielen Dingen, die uns nicht möglich sind. Aber wir trösten uns mit kleinen Ausflügen. Schliesslich leben wir in einer der schönsten Landschaften der Welt. Im Umkreis von, sagen wir, zwei Stunden Fahrzeit von der Uniklinik entfernt gibt es unzählige tolle Orte. Immer wieder mal müssen wir absagen oder vorzeitig abreisen, einmal sogar mitten auf der Fahrt umkehren. Aber immer wieder gelingen uns diese kleinen Fluchten aus dem Alltag auch. 

«Ausserdem kann man sich auch an der Küste erholen», sagt meine pragmatische Freundin. Und so setzen wir uns, sobald es Victor wieder besser geht, tatsächlich ins Auto und fahren gegen Süden, wo der Sturm noch heftiger gewütet hat als bei uns. 

Als ich im Laden an der Ecke alles zu Hause Vergessene nachkaufe, weicht ein redefreudiger Herr nicht von meiner Seite. Er trägt einen Regenmantel über seinem Pyjama und erzählt, dass er zu Hause keinen Strom mehr habe. Ausgerechnet jetzt, wo es zum ersten Mal seit Tagen wieder Eier zu kaufen gäbe. Die seien nämlich vor dem Sturm gehamstert worden wie Toilettenpapier während der Pandemie. «Wegen des Hühnersterbens, Sie wissen schon.» Hühnersterben? Auch das ist komplett an mir vorbeigegangen. «Wir haben so was von Glück», sage ich zu Victor, als ich in unser Ferienhäuschen zurückkomme. Denn wir haben Strom. Und frische Eier. Und tellergrosse Croissants. «So was von Glück!»

Das ist vielleicht das Wichtigste, das ich von Victor lerne: Wenn es vorbei ist, ist es vorbei. «Die Krankheit nimmt ohnehin zu viel Platz ein», sagt er. Jedes Mal, wenn er wieder eine gesundheitliche Krise überwunden hat, schüttelt er sie ab wie ein Hund die Wassertropfen nach einem unfreiwilligen Bad. Das geht so weit, dass er sich nicht einmal mehr an Einzelheiten erinnert, wenn er danach gefragt wird. Und er meint es absolut ernst, wenn er sagt, es gehe ihm «muy very good». Ich hingegen, ich brauche immer ein wenig länger. Oft spüre ich die Wucht der Bedrohung erst dann so richtig, wenn sie vorüber ist. Dann knicken mir schon mal die Knie ein. Doch ich lasse mir nichts anmerken und gehe ein wenig später, als Victor sich ausruht, am Meer spazieren. Das Licht schimmert silbern auf dem spiegelglatten Wasser. Als sei nichts gewesen. Plötzlich begreife ich, was Victor meint. Es geht um diesen Moment zwischen zwei Wellen, zwischen zwei Stürmen, zwei Atemzügen. Um diesen Moment, der friedlich ist und klar und still. 

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