Milena Moser über Veränderungen und Neuanfänge
Das Abenteuer wartet

Gleich zwei Freundinnen stehen vor einer grossen Veränderung, vor einem Umzug. Die eine zieht in ein anderes Land, die andere einfach aufs Land. Beiden wird gern vorgehalten, sie seien verrückt.
Publiziert: 10.03.2024 um 19:09 Uhr
Schriftstellerin Milena Moser (60) schreibt für Blick über das Leben. Sie ist Autorin mehrerer Bestseller. Ihr neustes Buch heisst «Der Traum vom Fliegen».
Foto: Barak Shrama Photography
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Milena MoserSchriftstellerin

Meine Freundin wirft ihren Rucksack so heftig auf den Stuhl, dass er umfällt. Wir treffen uns in einem Café am Hauptbahnhof, ich bin gerade wieder in Zürich angekommen, sie verlässt die Stadt, in der sie ihr ganzes Leben verbracht hat. Ich richte den Stuhl wieder auf und verkneife mir die Frage, ob sie sich den schweren Rucksack fürs Landleben angeschafft habe. Sie muss schon genug dumme Bemerkungen ertragen.

Umzüge sind unter den besten Bedingungen belastend. Wenn das Umfeld dann noch die ganze Zeit missbilligend die Stirn runzelt, wird es unerträglich. Ich schlage doppelte Espressi zur Stärkung vor, sie greift zur Weinkarte.

«Sag jetzt einfach nichts», warnt sie mich. Ich sage nichts. Nach einer Weile zückt sie ihr Handy und zeigt mir die Bilder ihres zukünftigen Zuhauses. Es befindet sich im Dachstock eines alten Bauernhauses, irgendwo an einem Waldrand, weit weg vom nächsten Dorf. Es wirkt heimelig, altmodisch, ein wenig verstaubt, aber charmant. Und so gar nicht mit der modernen Terrassenwohnung in der Stadt zu vergleichen, die sie nach ihrer Scheidung aufgeben musste. Das scheint ihr engeres Umfeld zu verstören. Diese radikale Veränderung. Ach, und die Tatsache, dass sie den Mietvertrag unterschrieben hat, ohne sich die Wohnung anzuschauen ... 

«Aber was, wenn es dir dann nicht gefällt? Du bist doch ein Stadtmensch! Kannst du überhaupt richtig Französisch?» Genau, die neue Wohnung befindet sich nicht nur auf dem Land, sondern auch im Welschland.

Ganz objektiv betrachtet, gibt es viele, vernünftige Gründe, die gegen diesen Schritt sprechen. Und einen einzigen, schwer beschreibbaren, dafür: Seit sie diese Bilder gesehen hat, fühlt sie sich wieder lebendig. Spürt sie zum ersten Mal seit langem wieder diese kribbelnde Vorfreude auf den nächsten Tag. Diese Lust aufs Leben. 

Eine jüngere Freundin zieht aus beruflichen Gründen für zwei Jahre ins Ausland, in den hohen Norden. Mit ihrer ganzen Familie, Mann, drei Kindern und einem Hund. Die Kinder werden eine neue Sprache lernen, sich in einem neuen Schulsystem zurechtfinden müssen. Ihr Mann, ein freischaffender Musiker, wird erst einmal nicht mehr auf Tour gehen. Bei ihr klingen die Einwände dann etwas anders: «Also wegen der Karriere die ganze Familie ... also nein, also, das könnte ich nie!»

Sie sagt: «Wenn es mein Mann wäre, der den Umzug wollte, würde niemand mit der Wimper zucken.» Es klingt weniger wütend, als ich angebracht fände, aber auch sie ist müde.

«Ui, das könnte ich nie!», ist ein Satz, den ich auch oft höre. Und nie so richtig einordnen kann. «Du musst ja auch nicht», will ich dann antworten. «Es ist ja mein Leben, nicht deins.» Doch wir neigen nun mal dazu, uns mit anderen zu vergleichen. Wir beziehen die Entscheidungen anderer auf uns: Müsste, sollte, könnte ich das auch? Es könnte ja durchaus spannend sein, sich diese Fragen zu stellen. Stattdessen empfinden wir diese Veränderungen im Umfeld oft als Kritik. Als ob sie unseren eigenen Lebensentwurf infrage stellten. Und so bekommt die ursprünglich wertfreie, ehrliche Feststellung «Das könnte ich nicht» einen vorwurfsvollen Unterton. Solche Bemerkungen ersticken manches Abenteuer im Kein. Sie halten vermutlich auch einige davon ab, diesem Kribbeln im Bauch zu folgen. Nicht aber meine Freundin, die ihr Glas austrinkt, ihren Rucksack schultert und in den Sonnenuntergang marschiert, oder wenigstens zum Gleis 18.

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