Die drei Tafeln leuchten wie Kirchenfenster in dem hohen Raum, sie reichen bis unter die Decke. Schimmernde, oszillierende Farben in feinen Abstufungen. Ich bin beeindruckt und gleichzeitig verwirrt. Bin ich hier richtig? Ist das die neue Ausstellung von unserem Freund Todd Hanson? Ich kenne seine komplexen Papierschnitte, mit denen er subtile und gleichzeitig überraschende Effekte erzeugt.
Ich gehe näher an die Bilder heran, nehme die Farben in mich auf und frage mich, was diese neuen Arbeiten motiviert hat. Dann lese ich seine kurze Erklärung: «Die drei vertikalen Tafeln repräsentieren meine Geburt der Farben. Es sind die ersten drei Bilder überhaupt, die ich mit Farbe gestaltet habe. Seit ich als Kind mit Farbenblindheit diagnostiziert wurde, wurde ich wegen meiner eingeschränkten Wahrnehmung konstant ausgegrenzt und ausgelacht und habe deshalb dieses Medium konsequent gemieden. Im letzten Jahr habe ich das nötige Selbstvertrauen gefunden, um meine Grenzen zu überwinden und neue Möglichkeiten auszuloten. Mir die Freiheit herauszunehmen, ‹Fehler› zu machen, hat meine Kreativität und meine Produktivität angeregt.»
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«Jeder Fehler ist eine neue Möglichkeit», sagt Victor immer. Und wir machen viele Fehler, in der jedes Jahr neu zusammengewürfelten Gruppe, die ihm bei seinen Installationen hilft. Wenn ich beim Schreiben einen Fehler mache, kann ich den mit einem Fingertippen löschen. In der bildenden Kunst sind die Folgen weitreichender. Materialien, Farben kosten Geld, zum Teil erstaunlich viel Geld. Aber falsch zugeschnittene Gerüstlatten geben dem Werk eine unerwartete Dimension. Falsch aufgeklebte Scherenschnitte füllen die Muster mit neuer Bedeutung. Oft sind es die ursprünglichen Fehler, die dann während der Ausstellung die stärksten Reaktionen erzielen. «Die umgekehrten Totenköpfe haben mich berührt», hören wir und zwinkern uns heimlich zu.
Ich stehe vor den drei Farbtafeln und bin froh, dass Todd sich diese «Fehler» erlaubte. Und dann denke ich unvermittelt an meine erste Hochzeit vor fast 40 Jahren zurück, und wie ich damals mitten in der Nacht aufwachte und wusste: Ich hab einen Fehler gemacht. Doch dann schlief ich wieder ein, und am nächsten Morgen war diese glasklare Gewissheit nur noch eine verschwommene Erinnerung, ein schlechter Traum. Und auch wenn die Ehe nicht gehalten hat, bereut habe ich sie nie. Die Liebe ist nie ein Fehler – auch nicht, wenn sie schiefgeht. Erst recht nicht, wenn sie schiefgeht. Fehler zu machen, ist ein Wagnis. Fehler zu machen erfordert Mut, Abenteuerlust, eine gewisse Unverfrorenheit. Die Eigenschaften von Künstlern, Wissenschaftlerinnen, Liebenden.