Milena Moser freut sich darüber, Grossmutter zu sein
Wo kommt die Liebe her?

Nun gehöre ich auch zum Club der Schmelzenden, der bis ins Knochenmark Aufgeweichten, dem Club der von Liebe Überschwemmten, der Überwältigten ... Anders gesagt, ich bin Grossmutter geworden.
Publiziert: 18.03.2024 um 00:00 Uhr
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Aktualisiert: 19.03.2024 um 14:59 Uhr
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Milena Moser ist 2024 Grossmutter geworden.
Foto: zVg
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Milena MoserSchriftstellerin

Erwartungsvoll schaue ich die Apothekerin an, die mir einen Babyfiebermesser verkauft. Warum sagt sie nichts? Sie kann ja wohl sehen, dass ich zu alt bin, um ein eigenes Baby zu haben. Dann sag ich's halt: «Ich bin Grossmutter!», strahle ich sie an. 

Das kriegen jetzt alle zu hören, die meinen Weg kreuzen. Ob sie wollen oder nicht. Die Reaktionen schwanken zwischen höflich vorgetäuschtem Interesse und überschwänglicher Begeisterung. Je nachdem halt, ob die Angesprochenen diesem weltweiten Club auch bereits angehören oder eben nicht – bis vor kurzem konnte ich auch noch kein Enkelfoto vom anderen unterscheiden. Aber jetzt ist alles anders. 

«Du wirst sehen», haben mir Grossmütter in meinem Umfeld vorausgesagt, gute Freundinnen, Frauen, die ich gar nicht so gut kenne, zum Teil sogar Wildfremde, die einen Teil eines Gesprächs mithörten und es begeistert unterbrachen: «Du wirst Grossmutter! Oh, wie schön. Ich sage dir ... du wirst sehen ...!» Etwas verbindet uns, etwas Einzigartiges und gleichzeitig ganz Alltägliches. 

Als mein Sohn mich anrief, damals, «ich muss dir etwas sagen», wurde mir erst einmal mulmig zumute. Alle denkbaren Szenarien wirbelten in diesen Sekundenbruchteilen seiner Kunstpause durch meinen Kopf, nur dieses nicht. (Die Frage, warum ich in solchen Momenten automatisch das Schlimmste annehme, lasse ich vorerst unbeantwortet. Darüber muss ich erst noch nachdenken.) Als ich verstand, was er mir da ankündigte, schrie ich so laut auf, dass Victor mich in der Werkstatt unten hören konnte, über die heulende Kreissäge hinweg. Bis er die Treppe hochgelaufen war, heulte ich auch. 

Und von diesem Moment an war es da, dieses kleine Wesen, bei mir, in meinen Gedanken. Immer wieder, in schwierigen und in schönen Momenten blitzte diese neue Erkenntnis auf: Da ist jemand, den ich noch nicht kenne und den ich doch schon so sehr liebe. Und als ich ihn dann endlich in den Arm nehmen durfte, war es wieder da, dieses Gefühl: Ich kenne dich schon. Ich sehe meinen Sohn in dir, deine Mutter, deine Urgrossmutter. Und doch bist du einzigartig. Ganz neu und doch vertraut. 

Erinnerungen tauchen auf und verschwinden wieder, an meine eigenen Schwangerschaften und Geburten. Wie jung ich damals war, wie unvorbereitet, wie wenig Ahnung ich hatte. Erinnerungen an meine eigene Mutter, die jünger war als ich, als sie Grossmutter wurde, und es auch jedem erzählte. Als Grossmutter entdeckte ich Seiten an ihr, die ich nicht kannte. Weichere, grosszügigere Seiten. Auch das habe ich von anderen gehört: Wie viel einfacher es ist, Grossmutter zu sein als Mutter. Vielleicht, weil wir älter sind. Mehr wissen. Aber auch, weil diese Liebe eine neue ist, eine andere als die zu den eigenen Kindern. Nicht weniger intensiv, aber irgendwie gelassener. Sicherer. Das kann natürlich auch ganz einfach daran liegen, dass sie nicht mehr mit akutem Schlafentzug verbunden ist ... 

Es ist, als hätten wir plötzlich Zugang zu einem geheimen Schatz, von dem wir gar nichts wussten. Wo kommt sie her, diese Liebe, wo war sie all die Jahre vorher, wo hat sie sich versteckt? Und wie viel ist da noch?

«Viel Glück», sagt die junge Apothekerin. Als ob es mehr Glück geben könnte.

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