Milena Moser über gut gemeinte Worte bei Krebsdiagnosen
Sag jetzt einfach nichts

Auch mein unbändiger Optimismus stösst manchmal an seine Grenzen, wird in seine Schranken gewiesen. Und das ist gut so. Manchmal ist das Beste, was man sagen kann: Nichts.
Publiziert: 28.04.2024 um 08:54 Uhr
Wie reagiert man am besten auf die Nachricht, dass eine gute Freundin Krebs hat? Manchmal ist nichts sagen die beste Lösung.
Foto: Getty Images
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Milena MoserSchriftstellerin

Meine Freundin meint es ernst. Ihre Augen, in denen eben noch Tränen schwammen, funkeln mich an. Sie zeigt mit dem Finger auf mich: «Sag jetzt einfach nichts!», warnt sie mich.

Und ich sage nichts. Dabei liegt mir so viel auf der Zunge. Sie hat eine unschöne Diagnose bekommen, das Wort, das niemand hören will, wurde ausgesprochen. Sie hat Krebs. Mit guten Heilungschancen, aber trotzdem. Das Wort macht etwas mit einem. Es ist beladen mit Assoziationen und Erinnerungen, für uns auch an eine Zeit, in der das Wort wenig Hoffnung zuliess. Eine Zeit, in der man es möglichst nicht aussprach.

Das ist jetzt anders. Zum Glück. Und da ich seit zehn Jahren mit einem «gesundheitlich herausgeforderten» Menschen zusammenlebe und dabei so viel gelernt habe, bilde ich mir ein, ich hätte meiner Freundin in dieser Situation etwas zu bieten. Ich könnte hilfreich sein.

Aber meine Freundin will, dass ich still bin, und so bin ich still. Sie scheint wütend auf mich, wieso, ist mir nicht ganz klar.

«Ich hab diesen Zwangsoptimismus so satt», sagt sie. «Was meinst du, was ich alles schon gehört habe: Dass ich jetzt stark sein muss, meine Kräfte mobilisieren, mich nicht unterkriegen lassen, kämpfen, siegen, gewinnen, den Kampf gewinnen – Herrgott, das Vokabular allein macht mich schon müde!»

Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass ich vor allem höre, dass ich es offenbar als Letzte in ihrem Bekanntenkreis erfahre, und bin einen Moment lang beleidigt. Ausserdem würde ich nie so was sagen. Aber es geht ja nicht um mich, es geht um sie.

«Und dann die guten Ratschläge, du machst dir keine Vorstellung. Ich hatte ja keine Ahnung, dass ich von Expertinnen und Spezialisten umgeben bin. Mein ganzes Umfeld weiss offenbar, wie man den Krebs besiegt.»

Ich erinnere mich an das Bücherregal hoch unter der Decke, wo man kaum herankam, wo Victor all die mehr oder weniger hilfreichen Ratgeber versorgt hatte, die seiner verstorbenen Partnerin nach ihrer Diagnose geschenkt worden waren. Und wie wir es, Jahre nach ihrem Tod, ausräumten und Victor sich murmelnd ermahnte «gut gemeint, es war gut gemeint, ich weiss...»

Gut gemeint geht oft daneben, deshalb spreche ich auch diese Erinnerung nicht aus. Meine Freundin ist noch nicht fertig.

«Früher konnte man sich auf dich noch verlassen. Als Europäerin hattest du einen schwärzeren Humor als wir und keine Angst vor Abgründen. Aber jetzt bist du genauso unerschütterlich sonnig wie alle anderen. Du bist wohl schon zu lange hier!»

Wieder will ich mich verteidigen: Ich lebe durchaus mit Abgründen, ich habe einfach gelernt, mich in ihnen einzurichten. Auch in den dunkelsten Felsspalten noch etwas zu finden, an dem ich mich festhalten kann. Und es ist nicht Amerika, das auf mich abgefärbt hat. Das habe ich von Victor gelernt. Auch an schwarzen Tagen findet er einen winzigen Lichtstreifen, etwas Helles, eine Farbe.

Aber manche Tage sind eben einfach schwarz. Und das muss man dann auch laut sagen.

Oder eben nichts sagen.

Meine Freundin hat sich leer geredet, sie greift nach ihrer Kaffeetasse. Das Getränk ist unterdessen kalt geworden. So hat es angefangen, ich fragte sie, was ich für sie bestellen soll. Dabei weiss ich doch, was sie trinkt, einen Mochaccino mit viel Schokoladenpulver. Unbewusst hatte ich wohl angenommen, dass die Diagnose ihre Frühstücksgewohnheiten verändert. Kein Wunder, ist sie wütend geworden.

Sie nimmt einen Schluck, schüttelt sich, dann muss sie lachen. Über ihrer Lippe klebt etwas weisser Milchschaum.

Schriftstellerin Milena Moser (60) schreibt für Blick über das Leben. Sie ist Autorin mehrerer Bestseller. Ihr neustes Buch heisst «Der Traum vom Fliegen». 

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