Milena Moser
Der Schlüssel zum Glück

Viele Dinge vermisse ich, wenn ich nicht in der Schweiz bin. Manche waren zu erwarten, andere überraschen mich. Am unerwartetsten und heftigsten trifft mich aber die Sehnsucht nach der Waschmaschine. Ein Luxusproblem, ich weiss.
Publiziert: 08.04.2024 um 06:00 Uhr
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Aktualisiert: 06.04.2024 um 13:32 Uhr
Schriftstellerin Milena Moser (60) schreibt für Blick über das Leben. Sie ist Autorin mehrerer Bestseller. Ihr neustes Buch heisst «Der Traum vom Fliegen».
Foto: Barak Shrama Photography
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Milena MoserSchriftstellerin

Ausnahmslos jede Frau in meinem Umfeld, die der Liebe wegen oder aus anderen Gründen in die Schweiz gezogen ist, bekam zur Einstimmung in ihre neue Heimat die Kurzgeschichte «Der Waschküchenschlüssel» geschenkt. (Und ja, nur die Frauen.)

Diese berühmte Geschichte von Hugo Loetscher erklärt nicht nur wichtige Regeln des hiesigen Zusammenlebens, sie lässt tief in die Schweizer Seele blicken – und auch wenn heute in den meisten Mietwohnungen Waschtürme stehen, bleibt sie immer noch aktuell. 

Ironischerweise wurde sie von einem Mann geschrieben, der wohl kaum je direkt mit diesem Phänomen konfrontiert wurde. Ich kann mir Hugo Loetscher jedenfalls nicht Wäsche waschend vorstellend, weder in einer Schweizer Waschküche noch in einem Laundromat in Los Angeles, wo er auch eine Zeit lang gelebt hat. Aber das ist keine Kritik. Ich glaube nicht an den alten amerikanischen Grundsatz, wonach man nur über Dinge schreiben soll, die man selbst erlebt hat. Das liesse recht wenig Spielraum zu. Dass Hugo Loetschers Geschichte die gesellschaftlichen Veränderungen der letzten Jahrzehnte so unbeschadet überlebt hat, ist ein Beweis seines Könnens, seiner Grösse – wenn es diesen überhaupt erst gebraucht hätte.

Doch mir geht es heute nicht um die Literatur, sondern um die Wäsche. Im wörtlichen Sinn. Das ist, wie gesagt und mir absolut bewusst, ein absolutes Luxusproblem. Aber so ist es. Mit dem Auswandern ist ein Teil in mir erwacht, von dem ich nichts ahnte: die innere Schweizer Hausfrau nämlich, die sich jede Woche über die amerikanischen Waschmaschinen ärgert, die es fertigbringen, die Wäsche zu zerstören, ohne sie sauber zu kriegen. 

Ich gehe nicht so weit wie eine Freundin, die einmal im Monat ihre Bett- und Tischwäsche in die Schweiz schickte, damit ihre Mutter sie für sie waschen konnte (was diese, verständlicherweise, nach einem Jahr verweigerte). Aber wenn ich in der Schweiz bin, lasse ich die Maschinen meiner Freundinnen heisslaufen. Ich bin begeistert von der differenzierten Auswahl an Programmen, für deren Einstellung man eigentlich eine Ausbildung braucht. War das immer schon so? Hab ich das immer für ganz selbstverständlich angenommen und zu wenig geschätzt? Bei uns gibt es nämlich nur gerade heiss, warm oder kalt. Ein Durchlauf dauert auch nur knapp eine halbe Stunde. Der Versuch, diesen einfach zu wiederholen, lässt meine Lieblings-T-Shirts in Fetzen zurück.

Meine Mutter erzählte gern, wie sehr sie als Kind alles Amerikanische bewunderte, das sie nach dem Krieg kennenlernte – sie war Jahrgang 1933. Wie glamourös und strahlend ihr das alles vorkam. «Die Amerikanerinnen wuschen sich ständig die Haare, bis sie glänzten», erinnerte sie sich. Sie hatten Zugang zu modernsten Haushaltsgeräten, ihr Leben schien reibungslos und strahlend. Da gab es keine Kälte und kein Grau. Wenn sie uns dann aber, Jahrzehnte später, in San Francisco besuchte, weigerte sie sich entsetzt, unsere Waschmaschine zu benutzen. «Da sind mir meine Sachen zu schade!»

So ändert sich alles. Ich aber, ich habe bei meinem letzten Aufenthalt hier nicht nur ein Studio für mich allein bekommen, sondern auch, sie ahnen es: einen Waschküchenschlüssel. Hier gibt es keinen Plan und keine grantigen Nachbarinnen. Dafür eine bequeme Bank und eine gutsortierte Leihbücherei. Ein kleines Paradies.

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