«Dein erster Enkel?», fragte die einzige andere Frau meines Alters auf dem Spielplatz.
Ich schüttelte den Kopf. Max ist eines meiner Hütekinder. Ich biete mich gern als Notfallbetreuung an, weil ich noch zu gut weiss, wie schnell die Dominosteine des Familienalltags einstürzen können. Vor allem während einer Pandemie. Und einer der vielen Vorteile des Älterwerdens ist der, dass mir junge Mütter vorbehaltlos ihre Kinder anvertrauen. Da besuchte ich eine Bekannte mit ihrem damals etwa fünf Wochen alten Baby, welches zufrieden in meinem Arm einschlief. «Ist es okay für dich, wenn ich einige Besorgungen erledige?», fragte die Mutter – und verschwand gleich für eineinhalb Stunden. Fast reglos sass ich auf ihrem Sofa, atmete den mit nichts zu vergleichenden Babygeruch ein, seltsam gerührt und berührt. Als ich mich später für ihr Vertrauen bedankte, zuckte die Mutter nur mit den Schultern. «Na, ich weiss ja, dass du auch mal Kinder grossgezogen hast ...»
Das half mir jetzt allerdings nicht viel, als ich mit dem knapp zweijährigen Max den Spielplatz erkundete. Was kann so ein kleiner Knopf allein, wo braucht er Hilfe, was darf er, was ist sicher, was ist gefährlich? Das wusste ich alles mal, aber jetzt: keine Ahnung. Sicherheitshalber hielt ich mich ständig dicht hinter ihm, die Arme ausgebreitet wie die sprichwörtliche Helikopteroma. Was er alles andere als toll fand.
Eileen und ich unterhielten uns eine Weile, während wir nebeneinander die Gitterschaukeln anschoben, viel zu zögerlich für den Geschmack unserer lautstark protestierenden Zöglinge. «Nun schau dir das an!» Eileen zeigte zu den Picknicktischen hinüber, an denen sich jüngere Mütter versammelt hatten, zu zweit oder in Gruppen. Sie unterhielten sich, sie lachten, sie assen Chips aus grossen Tüten. Und auf beinahe jedem dieser Tische stand eine Flasche Wein. Und Gläser. Richtige Weingläser.
Plötzlich sah ich mich wieder am Rand eines Spielfelds stehen, die Mannschaft meines Sohnes eher halbherzig anfeuernd, vor allem, weil ich die Regeln nie kapiert hatte. Die anderen Mütter kannten solche Hemmungen nicht. Sie hüpften auf und ab, kreischten, klatschten in die Hände. «Du kannst nicht einfach so steif rumstehen», rügten sie mich. «Das ist unamerikanisch!» Ich zuckte mit den Schultern. Was solls, dachte ich, ich bin halt ein bisschen verklemmt. «I'm from Switzerland», bemühte ich meine Standardausrede. Doch dann wurden zwei dieser Mütter des Platzes verwiesen, weil sie die gegnerische Mannschaft so unflätig und obszön beschimpft hatten. «Die waren doch total besoffen», erklärte mir mein Sohn mit dieser unerträglich herablassenden Nachsicht der Teenager.
«Besoffen???» Ich kannte die meisten dieser Mütter seit Jahren. Unzählige Stunden hatte ich in ihrer Gesellschaft verbracht. Und nie, nicht ein einziges Mal hatte ich mich gefragt, ob die Thermosbecher, die sie immer mit sich trugen, allenfalls etwas anderes als Kaffee enthalten könnten. Mein Sohn schüttelte nur den Kopf. «Ach, Mama.»
Was sollte ich sagen: Ich trinke sehr gerne Wein, aber eben gern aus einem richtigen Glas und im Sitzen, zum Essen und in guter Gesellschaft. Nicht verschämt aus einer Plastikschnabeltasse nippend, am Rand eines Spielfeldes oder in den Kulissen eines Schultheaters stehend. Das wäre mir echt nie in den Sinn gekommen. «Das hat es früher nicht gegeben», kommentierte Eileen missbilligend. Ich seufzte. «Nein, leider nicht ... wie schade!»