Milena Moser
Achtung, diese Kolumne enthält Katzen

Man liebt sie oder man hasst sie, man schaut sich endlose Filmchen über ihre Kapriolen an, wenn man eigentlich arbeiten sollte, man will unbedingt mehr über sie erfahren – oder um Gottes willen, nur ja nicht!
Publiziert: 01.08.2022 um 10:18 Uhr
Die Schriftstellerin Milena Moser schreibt im SonntagsBlick Magazin über das Leben. Sie ist die Autorin mehrerer Bestseller. Im Februar erschien ihr neues Buch «Mehr als ein Leben».
Foto: Barak Shrama Photography
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Milena MoserSchriftstellerin

Ich stehe auf dem Balkon, die Futterdose in der Hand. «Miau», rufe ich, wie Victor es mir beigebracht hat. «Miaauuuu!» Dann muss ich lachen: Ich bin die verrückte Katzenlady. Wie ist es so weit gekommen? Ganz einfach, ich habe einen Katzennarren geheiratet.

Allerdings gehört Victor nicht zu denen, die menschliche Züge und Eigenarten auf ihre Haustiere projizieren. Nein: Es ist eher so, dass er sich selbst für eine Katze hält oder sich zumindest mit ihnen identifiziert. Sein toltekischer Name bedeutet «Sieben-Jaguar», der Jaguar ist auch sein Nagual, sein Schutztier und sein Alter Ego, dessen Form er einnehmen kann, wenn er in Gefahr ist.

Bewusst erinnert er sich nicht an solche Verwandlungen, doch die Katzen akzeptieren ihn fraglos als einen der ihren – und nicht nur, weil er offenbar ihre Sprache spricht. Sie weichen nicht von seiner Seite, egal ob er im Studio oder im Garten arbeitet, und schon gar nicht, wenn er krank im Bett liegt. Mich hingegen nehmen sie nur als Dosenöffnerin zur Kenntnis. Aber das ist schon in Ordnung. Denn ohne seine Katzen würde Victor schon lange nicht mehr leben.

Es begann mit Frida in Mexiko, die ihn vor Skorpionenbissen bewahrte. Dann kamen Chipotle und Chocolate, zwei klein gewachsene schwarze Kätzchen, die in einem Abbruchhaus ausgesetzt worden waren. Eine Freundin brachte sie zu Victor, der sie sofort in die Brusttasche seiner Latzhose steckte.

Das war kurz vor seiner Nierentransplantation, der ein mehrwöchiges Koma folgte. Chocolate und Chipotle belagerten sein Krankenbett, legten sich instinktsicher auf die schmerzenden Stellen und übertrumpften sich gegenseitig mit Mitbringseln aus dem Garten. Wenn Chocolate eine Maus anschleppte, kam Chipotle wenig später mit einer Ratte an. Wenn sie einen Vogel erlegt hatte, schnappte sich Chocolate ein Entenküken. Ein Entenküken ...? Mitten in der Stadt?

Monate später, als es Victor besser ging, stand er im Café an der Ecke in der Schlange. Vor ihm standen seine Nachbarinnen, zwei ehemalige Nonnen, die seit ein paar Jahrzehnten in unserer Strasse glücklich zusammenleben. Auf die Frage, wie es ihnen gehe, klagten sie, dass ihr Stadtfarm-Projekt gescheitert sei. «All unsere Entenküken sind eines nach dem anderen verschwunden ...» Victor senkte den Kopf, murmelte etwas Unverständliches und schlich sich ohne Kaffee wieder nach Hause.

Heute sind es Tildeli und Twylita, die ungleichen siamesischen Schwestern, die über ihn wachen. Wie viele andere in seiner Situation leidet Victor nämlich unter sogenanntem Transplantationsdiabetes, der von den Medikamenten verursacht wird. Manchmal sackt deshalb sein Zuckerspiegel plötzlich dramatisch ab, was schnell gefährlich werden kann. Vor allem, wenn es in der Nacht passiert. Doch die Katzen spüren das und wecken ihn zuverlässig auf. Jedes Mal. Ich stehe tief in ihrer Schuld. Und in ihrem Dienst.

«Miau», rufe ich noch einmal, und da kommen sie angeschossen, zwei nicht mehr ganz weisse Kugelblitze, sie springen über den Nachbarszaun und galoppieren die wackelige Treppe hinauf und schlittern dann über den glatten Holzboden, um exakt vor den Futternäpfen abzubremsen. Wieder muss ich lachen: Ja. Das ist mein Leben. Ich bin die Dosenöffnerin, ich bin die Katzenlady.

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