Vor einigen Tagen in der Kaffeeküche eines Zürcher Tonstudios: Ein Musiker, der locker mein Sohn sein könnte, bot mir Kaffee an. Ich schaute ihm bei der Zubereitung zu und stellte begeistert fest: Er weiss, was er tut.
Ich kann mich gut daran erinnern, wie ich einem Kollegen vor vielen Jahren erklären musste, dass man die Nespresso-Kapsel tatsächlich nach jedem Brühvorgang auswechselt. Er hatte bereits zehn Minitassen-Füllungen von höchst zweifelhafter Qualität aus einer Kapsel destilliert und in der Konferenz verteilt. Eine nächste Generation hat sich offenbar von der ohnehin umweltunfreundlichen Maschine verabschiedet und filtert Kaffee nun wieder wie einst die deutschen Hausfrauen.
Brühwarme Auferstehung
Der moderne Mann benötigte allerdings zwei Maschinen, um die eine zu ersetzen. Seine fair gehandelten Kaffeebohnen wurden sowohl elektronisch abgewogen als auch portionsweise frisch gemahlen. Anschliessend wurde mithilfe jener Waage, auf der nun eine sogenannte Chemex-Glaskanne stand, die exakte Menge Wasser über das frisch gemahlene Pulver gegossen. Filterpapier sorgte dafür, dass weder unerwünschte Öle noch Bitterstoffe das Getränk beeinträchtigten. Ich war begeistert!
Die Glaskanne kenne ich noch aus dem Shop des Museum of Modern Art in New York, ihre Stundenglas-Form, mit dem Holzstück in der Mitte, die eine Handhabe ohne Brandverletzung ermöglicht, gilt seit ihrer Erfindung in Massachusetts vor gut 80 Jahren als Design-Klassiker.
Da das Herauspressen von Kaffee durch Wasserdruck lange Zeit unseren italienischen Nachbarn vorbehalten war und erst Ende der Siebzigerjahre die restliche Welt eroberte, wurde zunächst das Aufbrühen von Kaffee automatisiert, für die neuen Grossraumbüros, dann auch für die Kleinfamilie zu Hause. Die Glaskanne verschwand, wir begegneten ihr nur noch in Hollywood-Klassikern aus den Sechzigerjahren («Rosemary's Baby») oder in Serien, die in jener Ära spielen («Mad Men»).
Espresso wie Zigaretten
Nun ist sie zurück. Vielleicht weil sich junge Männer heute über Kaffeebohnen-Know-how definieren und nicht, wie ihre Väter, in vino veritas zu finden glauben. Ausserdem passt die Glaskanne zur Homeoffice-Kultur: Wenn an Küchentischen stundenlang digital konferiert wird, sorgt die Glaskanne für anhaltende Aufmunterung.
Und der Austausch mit dem Team an der Espresso-Maschine wirkt plötzlich so gestrig wie eine Zigarettenpause.
Lisa Feldmann hat sich schon als Chefredaktorin der Zeitschrift «Annabelle» über die tiefere Bedeutung unserer alltäglichen Lifestyle-Produkte Gedanken gemacht. Heute liest man darüber jeden zweiten Samstag im Blick und auf feldmanntrommelt.com