Es gab eine Zeit, da bestellte man im Café einen Cappuccino, und die einzige Nachfrage drehte sich um die Prise Kakaopulver, die den Milchschaum krönen sollte oder eben nicht.
In heutigen Coffee-Shops definiert man das gewünschte Getränk beim Barista durch die Milchersatz-Drinks im Angebot: Soja-, Mandel- und neuerdings vor allem Hafermilch stehen zur Auswahl. Kuhmilch wiederum wird entweder von Fett oder von Laktose befreit angeboten – wer Kaffee weder vegan noch komplett entkernt weiss, gilt als gestrig. Der klassische Cappuccino, schreibt der Kulturwissenschaftler Andreas Bernard von der Universität Luzern, wurde zum «alten weissen Mann» unter den Heissgetränken.
Nach eigener Anschauung begann diese Entwicklung vor gut zwanzig Jahren. Das Caffè-Latte-Trinken war damals in meiner Welt zu einem nachmittäglichen Ritual geworden. Wir stapften zu dritt oder viert in eine der immer näher gelegenen Coffee-to-Go-Ketten, schleppten das Getränk unserer Wahl zurück ins Büro und dort den restlichen Tag mit uns herum. Der Akt des Kaffee-Konsumierens wurde mit neuer Bedeutung aufgeladen. Nicht das Innehalten, sondern das Keine-Atempause-Machen prägte nun sein Image.
Weg mit der Camel, fort mit der Kuh
Dieses offen zur Schau gestellte Zeitmanagement wurde umso rascher populär, weil die Generation der Millennials in den Grossstädten den Ton angab und das Strassenbild prägte. Deren Hang zur Selbstoptimierung betraf jede Form von Effizienz, dank ihrer Smartphones arbeiteten sie rund um die Uhr, während sie parallel Sport trieben, einkauften, pendelten, den Hund spazieren führten.
Um für dieses permanente Multitasken fit zu bleiben, ordneten sie sich immer neuen Gesundheitsregimes unter. Zuerst fielen die Bastionen Zigaretten und Alkohol, rasch gefolgt von Zucker und Weizen – und schliesslich der guten alten Kuhmilch.
Perfekt für die politisch-ideologische Diät
Inzwischen hat die nächste Generation übernommen. Die selbstbewussten Teenager von heute demonstrieren für eine Umkehr der Umweltpolitik und folgen einer politisch-ideologischen Diät: Massentierhaltung und Soja-Monokulturen stehen auf ihrem Index wie alles Weitgereiste oder in Plastik Verpackte.
Was bleibt, ist der Hafer. Lokal und unkompliziert anbaubar, so nahrhaft wie Kuhmilch: Diesem Drink ist offenbar nichts vorzuwerfen. Man kann ihn sogar zu einem Cappuccino aufschäumen, gekrönt mit einer Prise Fairtrade-Schoggi.
Lisa Feldmann hat sich schon als Chefredaktorin der Zeitschrift «Annabelle» über die tiefere Bedeutung unserer alltäglichen Lifestyleprodukte Gedanken gemacht. Heute liest man darüber jeden zweiten Samstag hier und auf Instagram unter feldmanntrommelt. Zu hören ist sie im Blick-Podcast «Bikini».