Kolumne «Meine Generation» über die politische Verantwortung der Jungen
Nur wer wählt, bestimmt mit

Kolumnistin Noa Dibbasey (22) weilt zurzeit in Frankreich im Auslandssemester und verfolgt aus der Ferne den Schweizer Wahlkampf. Vor Ort beobachtet sie die französischen Polit-Szene und regt sich darüber auf, dass viele Junge in der Schweiz nicht wählen gehen.
Publiziert: 08.09.2023 um 06:00 Uhr
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Aktualisiert: 07.09.2023 um 21:49 Uhr
Plakat-Dschungel während den eidgenössischen Wahlen 2019.
Foto: Keystone
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Noa DibbaseyKolumnistin

An den Temperaturen ist es noch nicht spürbar, und doch bahnt er sich langsam an: der Herbst! Uns erwarten Windstösse, Waldspaziergänge und vor allem ganz viele Wahlplakate. Die Wahlsaison beginnt, und ich kann es kaum erwarten, die Dramen und Intrigen der Politik-Elite zu beobachten – besser als jede Telenovela. Und der Wahlsonntag erst! Spannend wie ein Thriller und ein bitzli wie Lotto spielen.

Als Politik-Nerd verfolge ich alles rund um die Wahlen penibel in erhitzten Talkshow-Diskussionen, auf Twitter oder seit einem gewissen, für Lacher sorgenden Wahlvideo auch kurz auf Youtube. Seitenhiebe gegen die gegnerischen Parteien liest man in fast jedem Interview, und die bevorstehende Bundesrat-Erneuerungswahl bietet zusätzlichen Zündstoff. 

Eine spannende Zeit also. So gerne spaziere ich durch die Stadt und betrachte die mal besser, mal weniger gut gelungenen Wahlslogans auf den unzähligen Plakaten. Dieser Freude kann ich dieses Jahr jedoch nicht nachgehen: Ich bin zurzeit in einem Auslandssemester in Frankreich. 

Nach nur einer Woche an der neuen Uni ist jedoch bereits klar: Gegen die Polit-Machenschaften in Frankreich sind die Wahlkämpfe der Schweiz Peanuts. Hier wird gestichelt, gemauschelt und aufgewiegelt, was das Zeug hält. So glaube ich zumindest – ganz so gut ist mein Französisch noch nicht. 

So fesselnd diese erbitterten Polit-Showdowns auch sein mögen – die französische Bevölkerung ist vor allem eines: verbittert. Die Unzufriedenheit gegenüber der Politik spürt man in Gesprächen mit den Menschen sowie in den Medien und im Vorlesungssaal. Mitbestimmen könne man kaum, und gewählt werde meistens nicht die beste, sondern die weniger schlimme Option. Kein Wunder, gehören Streiks hier zum Alltag.

Einmal mehr wurde mir klar, was für ein Privileg wir in der Schweiz geniessen. In einem Punkt aber sind uns die Franzosen voraus: Ihr Präsident ist jünger als alle sieben Personen in unserem Bundesrat. Auch das Durchschnittsalter der Ratsmitglieder liegt ein Jahr unter dem der Schweiz. 

Schuld daran tragen vor allem wir, die Jungen. Ich werde rasend ob meiner Freundinnen, die sich mit einem «S interessiert mi eifach nöd so…» vor den Wahlen drücken. Dass unser gesamtes Leben von der Politik unseres Landes umrahmt ist, dass wir noch so viel mehr mitgestalten könnten, sehen viele junge Menschen nicht. Ob fehlende politische Bildung, Wohlstandsverwahrlosung oder das Internet daran Schuld ist – ich weiss es nicht. 

Bevor ich in den Zug nach Frankreich gestiegen bin, haben sich meine Freunde aber, quasi als Abschiedsgeschenk, das Versprechen abgerungen, dieses Mal wählen zu gehen. Vielleicht, so meine Hoffnung, finden sie dadurch ja ebenfalls Gefallen am Polit-Spektakel. Und vielleicht schaffen wir es so, das Durchschnittsalter der Räte unter jenes der Franzosen zu bringen!

Noa Dibbasey (22) studiert an der Universität Bern Sozialwissenschaften. Sie schreibt jeden zweiten Freitag im Blick. 

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