Von aussen sieht alles bestens aus. Sie haben sich mit viel Fleiss ein Leben ohne Versorgungsängste und Liebeskummer aufgebaut. Sie fühlen sich sozial, materiell, beruflich aufgehoben und sind glücklich, tun zu können, was Sie tun. Noch sind Sie meilenweit davon entfernt, das Setzen einer Tulpenzwiebel als vermessen zu empfinden, da sie erst im nächsten Frühling blühen wird.
Aber ganz jung sind Sie auch nicht mehr. Und obwohl Sie sich eigentlich als gebürtigen Optimisten betrachten, gibt es vereinzelt Tage, die das Wissen um Ihre kürzer werdende Zukunft füttern. Die Aussicht hinterlässt ein schales Gefühl, dass Ihr Leben so vorhersehbar weitergehen wird, bis am Ende Ruhestand und Verfall warten und ein Zeigefinger, so zittrig, dass er immer wieder die Träne verpasst, die Sie sich von der Wange wischen wollen. Mit einer beunruhigenden Mischung aus Leere, Langeweile, Furcht und Wehmut denken Sie an das Leben, das Sie sich erhofft haben, und an das Leben, das Sie tatsächlich führen. Was haben Sie nicht alles verpasst!
Zum Glück gibt es einen Begriff, um Ihren Zustand zu beschreiben: Midlife-Crisis. Er zeigt: Sie sind nicht allein.
Wenn Sie ein Mann sind, verlangt das Klischee von Ihnen nun, dass Sie eine letzte Zigarette rauchen, sich im Fitnesscenter anmelden, eine goldene Rolex und eine Geliebte zulegen.
Wenn Sie eine Frau sind, dürften Sie erstens mit der Zähmung der Krise Ihres Mannes beschäftigt sein, zweitens mit der Sorge um Ihre Kinder und um Ihre Eltern. Falls noch Zeit bleibt, sich um die eigene seelische Beschwingtheit zu kümmern, helfen Sie sich vielleicht mit Botox oder auch mit Kieran Setiyas philosophischer Gebrauchsanweisung «Midlife Crisis». Die Lektüre bewahrt Sie davor, Ihre Jugend nostalgisch zu verklären. Ihnen wird klar, dass auch als junger Mensch die meisten Träume geboren wurden, um unerfüllt zu sterben – man wusste nur noch nicht, welche.
Für einen Augenblick sind Sie überzeugt, dass Sie heute bessere Entscheidungen treffen würden, wären Sie nochmals jung. Allerdings waren es diese rückblickend falschen Entscheidungen, die Sie zur Person haben werden lassen, die Sie sind, so weise und grossartig.
Und falls Sie sich noch immer nicht mit Ihrem Zustand versöhnen können: Die «New York Times» hat kürzlich Millennials nach ihren Wünschen gefragt. Die heute um die 40-Jährigen antworteten, sie wünschten sich nur eines, nämlich Ruhe und Stabilität. Also genau das, was Sie fliehen. Alles wird gut.
Ursula von Arx hält es im Rückblick auf ihr Leben gern mit Edith Piaf: Sie bereut gar nichts, «rien de rien». Jedenfalls meistens. Von Arx schreibt jeden zweiten Montag im Blick.