Futurist David Shrier glaubt, dass innerhalb von 5 bis 7 Jahren zwischen 30 und 80 Prozent der Arbeitsplätze durch künstliche Intelligenz ersetzt werden. Eher 30 oder eher 80 Prozent? Das hängt vom Modell ab und somit vom eingesetzten Algorithmus, der von Menschen mit handverlesenen Daten gefüttert wird.
1992 lernte ich, was ein Algorithmus kann. Zusammen mit Ingo Mesche, dem Vater des Moorhuhns, und Andy Seebeck, dem Vater der interaktiven TV-Telefonie-Spiele in Europa, entwickelte ich «Hannibal», ein Strategiespiel für DOS- und Amiga-Computer. Das Game basierte auf den Bevölkerungszahlen und Anbauflächen von 756 historischen Städten, die der Althistoriker Karl-Julius Beloch 1886 publiziert hatte.
Hintergrund war der Zweite Punische Krieg (218 und 201 v. Chr.). Andy Seebeck programmierte einen Algorithmus, der jeweils hochrechnete, wie sich Regendauer und Niederschlagsmenge auf Reisedauer und Nahrungsmittelproduktion auswirken. Die Wetterdaten entnahm er einem geschätzten Jahresdurchschnitt. Drehte man geringfügig am Rad des Algorithmus, bremste der Schlamm die Geschwindigkeit der Armee, drehte man das Rad etwas zurück, brachte das Wetter Dürre, Ernteausfälle und Hungersnöte, was wiederum die Armee schwächte. Bei Temperaturen über 40 Grad wurde die Wetterkarte als Warnung blutrot eingefärbt. Alles war miteinander verzahnt. Wir hatten eine klare Vorstellung vom Schwierigkeitsgrad. War dieser zu hoch, demotivierte man Spieler, war er zu niedrig, verlor man die Hardcore-Gamer. Die Lösung: drei unterschiedliche Schwierigkeitsgrade, also drei von Menschenhand programmierte Algorithmen. Der Spieler hatte die Wahl.
Heute basiert alles auf Algorithmen, vom Währungsrechner über den Body Mass Index (BMI) bis zu Corona- und Klimaprognosen. Das ist hilfreich, weil man durch Veränderung der Parameter Optimierungspotenzial entdeckt. Forschungsgelder erhalten mehrheitlich jene Teams, die belegen, was politisch gewünscht wird. Es ist jedoch nicht hilfreich, wenn alle vom Mainstream abweichenden Modelle von der öffentlichen Debatte ausgeschlossen werden. Die Bevölkerung will sämtliche Argumente hören. Wir sind keine Deppen, die sich keine eigene Meinung bilden können.
Claude Cueni (67) ist Schriftsteller und lebt in Basel. Er schreibt jeden zweiten Freitag im BLICK. Zuletzt erschien sein Thriller «Dirty Talking».