Frank A. Meyer – die Kolumne
Die Säuberer

Publiziert: 07.08.2022 um 00:48 Uhr
Foto: Antje Berghaeuser
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Frank A. MeyerPublizist

Nun ist es also möglich, dass ein Konzert wegen «kultureller Aneignung» abgebrochen wird, aus Protest dagegen, dass weisse Musiker Dreadlocks tragen und Reggae spielen, also die Musikkultur von «People of Color» pflegen. Antikolonialistische Aktivisten verkündeten in Bern ein ideologisch motiviertes Verbot solcher Darbietungen, das von den Besitzern des Musiklokals sofort befolgt wurde.

Oh ja, es gibt sanften Gegenprotest in den Medien. Mit viel Verständnis für die aufgebrachten und in ihrer antirassistischen Seele verletzten Protestierenden. Sogar die kritische «Neue Zürcher Zeitung» konzedierte: «Die Debatte zum postkolonialen Rassismus ist richtig und wichtig ...»

Woran die «Woke-Bewegung», wie sie sich gerne nennt, in westlichen Kulturgefilden von Amerika bis Europa gerade Anstoss nimmt, lässt sich allerdings auch anders verstehen, nämlich umgekehrt:

Die einzigartige schwarze Sopranistin Jessye Norman (1945–2019) sang einst hinreissend die Elisabeth in Wagners Tannhäuser – eindeutiger Fall von «kultureller Aneignung», also streng zu verurteilen.

Der grossartige chinesische Pianist Lang Lang spielt mit ergreifender Sensibilität Chopins Klavierkonzerte – klare «kulturelle Aneignung», also streng verboten.

Oder umgekehrtumgekehrt:

Elvis Presley (1935–1977), King of Rock 'n' Roll, verzauberte seine Fans mit Rhythmen aus der Welt der schwarzen Musikkultur – von woker Warte aus betrachtet eine schamlose «kulturelle Aneignung», seine Rock-Hinterlassenschaft gehört also vom Markt genommen.

Die Säuberer nutzen die Freiheit der westlichen Gesellschaft – einer Kultur, die sie verwerfen und diffamieren. Ist nicht auch das «kulturelle Aneignung»?

Muss man die Anmassungen der Neo-Apartheid-Aktivisten überhaupt ernst nehmen? Leider ja, denn sie sind nicht einfach nur ignorant und dreist, sondern zielen auf die gesamte westliche Wertewelt, auf die Kultur der Freiheit – auf «das Genie des Abendlandes», wie es der Schweizer Kunstwissenschaftler Beat Wyss so treffend formuliert.

Die Gegenfigur zum gelobten «globalen Süden» ist für sie der Westen, verkörpert im «alten weissen Mann», der Hassfigur der woken Weltveränderer – Rassismus in Reinform, aber erlaubt, weil antikolonialistisch.

Auf solche Spielarten des Dogmatismus lassen sich Linke neuerdings gerne ein, ersetzt ihnen der Kulturkampf doch den verlorenen Klassenkampf. Den Grünen sind die Gebote der globalen Südisten auf den Leib geschrieben, setzen sie doch klimaschonende Stammeskultur gegen den klimaschädlichen kapitalistischen Kult der Freiheit des Einzelnen. Und wohlmeinende Beobachter dieser Umtriebe predigen Toleranz gegenüber der infantil inspirierten Intoleranz, sind es doch ihre Kinder und Kindeskinder, die sich da revolutionär-lärmend Gehör verschaffen.

Was wäre die Folge, hätten Neo-Nazis das Berner Konzert gestört oder gar verhindert? Ein Sturm der Entrüstung! Protesterklärungen! Mahnwachen!

Doch die Kämpfer gegen «kulturelle Aneignung» durch westliche Künstler sehen sich unverdrossen als Linke – und werden in den Medien auch unwidersprochen als links bezeichnet.

Wer hat zwischen 1933 und 1945 die Werke von Felix Mendelssohn Bartholdy (1809–1847) aus den deutschen Konzertsälen verbannt, weil er sich als jüdischer Komponist «arische – deutsche – Musikkultur» angeeignet hatte?

Ja, der historische und der aktuelle Bezug der woken Kultursäuberer liegt rechts – rechts aussen.

Genau darum geht es inzwischen: um den Kampf gegen eine faschistoide Kulturideologie und die daraus abgeleiteten Säuberungen von Konzerten und Theateraufführungen unter dem Verbotssiegel «kulturelle Aneignung».

Der italienische Schriftsteller Ignazio Silone (1900–1978) fasste das Phänomen einst in folgende weise Worte: «Wenn der Faschismus wiederkehrt, wird er nicht sagen: Ich bin der Faschismus. Er wird sagen: Ich bin der Antifaschismus.»

Ich bin der Antirassismus.

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