Frank A. Meyer – die Kolumne
Mensch Berset

Publiziert: 24.07.2022 um 00:48 Uhr
Foto: Antje Berghaeuser
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Frank A. MeyerPublizist

Der SonntagsBlick, mein allerliebstes Medium, machte letzte Woche mit der Schreckensmeldung auf: «Berset liess den Bundesrat im Dunkeln.» So was ins solcher Zeit: Sechs Bundesratskollegen ohne Licht. Welch ein Verhängnis!

Doch die französische Luftwaffe sprang der Schweizer Regierung bei: Sie zwang die Sportmaschine mitsamt Bundesrat zur Landung – vorsichtshalber. Der helvetische Innenminister war im befreundeten Ausland durch einen fliegerischen Fehler in falschen Verdacht geraten.

Und es wurde Licht: Alain Berset pflegt ein exklusives Freizeitvergnügen, das Pilotieren.

Bisher hielt der Politiker diese eher apolitische Leidenschaft mit Erfolg geheim. Wieso eigentlich? Weil sie nicht zu einem Sozialdemokraten passt? Genossen sollten sich umweltgerecht verhalten, monierten selbstgerechte Journalisten im Chor – wobei selbstgerecht und Journalist als Pleonasmus zu lesen ist.

Ja, Alain Berset ist ein ganzer Kerl, wie wir gerade feststellen, also aussergewöhnlich wie sein Lebensstil. Die Fliegerstory ist ja nicht seine einzige Auffälligkeit, mit der sich die Journaille – und damit die Öffentlichkeit – ausgiebig beschäftigt. Es pfuschte auch schon mal eine frühere Geliebte mit ungebührlichen Geldforderungen ins geordnete politische Berufsleben des Freiburger Sozialdemokraten hinein.

Und daher fragt sich: Darf ein Bundesrat, was dieses Kollegiumsmitglied sich herausnimmt, ein nicht-öffentliches, ein heimliches, ein ganz privates Privatleben führen?

Nun, über das Verliebtsein orientiert man nicht an Medienkonferenzen; noch weniger, wenn die Affäre schiefgeht; das Maulaffenfeilhalten der Medien muss ein Magistrat, der in eine erotische Falle tappt, allerdings aushalten – was Alain Berset tapfer getan hat. Ein seltenes Hobby wie das Fliegen zu verheimlichen, ist eine Vorsichtsmassnahme, die ein prominenter Sozialdemokrat seinen Genossen geradezu schuldet angesichts jederzeit entfesselungsbereiter Shitstürme.

Wo aber ist die Staatsaffäre?

Wenns denn unbedingt sein soll, dann ist es bestenfalls eine zum Lachen, und zwar nicht hämisch, sondern heiter-herzlich: Da ist einer wie keiner und obendrein noch Bundesrat, ja sogar ein Bundesrat zum Mögen, weil er etwas kann und etwas macht und etwas gemeistert hat, nämlich – unter anderem – eine Pandemie, von der zu Beginn und im ersten Jahr niemand wusste, wie sie politisch zu meistern wäre!

Der Bundesrat war davon nicht weniger überrascht als die Bürger. Alain Berset hat sich das Wissen angeeignet, Schritt für Schritt, manchmal stolpernd und mit Fehltritten, die er offen eingestand, immer aber mit viel Klugheit und pragmatischen Entscheiden, die er undramatisch zu vermitteln wusste – das sympathische Gesicht der Pandemiejahre, der gut aussehende, bisweilen jungenhaft auftretende Regierer im ernsten Bern.

Mensch Berset.

Die Moraltanten – meistens Männer, aber man kann ja neuerdings sein Geschlecht frei wählen – ziehen einen hoch qualifizierten Bundesrat in Zweifel, spekulieren gar über dessen Rücktritt, als fände sich reihenweise Ersatz. Aber Alain Berset ist übers Tagesgeschäft hinaus eine Persönlichkeit von Kultur und Intellekt. Wenns sein muss, referiert er auch vor Philosophen kompetent philosophisch. Braucht die Schweiz einen Kulturminister solchen Formats?

Alain Berset fliegt hoch, fliegt auf die Nase – fliegt dem Kleingeist davon.

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