Frank A. Meyer – die Kolumne
Trotz allem

Publiziert: 31.07.2022 um 00:50 Uhr
Foto: Antje Berghaeuser
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Frank A. MeyerPublizist

Die SVP ist mal wieder auf der Pirsch – wann wäre sie das nicht? Sie hat, wie der Blick kundig informiert, einen «Geheimplan für Öko-Diktatur» gewittert, und dass dahinter Energieministerin Simonetta Sommaruga stecken soll.

Die Schweizerische Volkspartei will, bevor es zu spät ist, die finsteren Pläne der linken Verschwörerin durchkreuzen. Sie fordert zur Bewältigung der drohenden Energiekrise einen «Stromgeneral».

Rechter Militärputsch gegen linke Diktatur?

Nun ja, die Demokratie wirds überleben, wie sie die Simpel an der Spitze der SVP seit 30 Jahren überlebt. Doch das Talent der Populisten, auch den schlichtesten Einfall so zu überdrehen, dass er lächerlich wirkt – «Stromgeneral»! –, bleibt bemerkenswert.

Dabei ist die Befürchtung nicht aus der Luft gegriffen, dass die Massnahmen gegen Energieverknappung und Klimawandel der Bürgerfreiheit ungebührlich Grenzen setzen könnten. So findet in der links-grünen Szene gerade die populärphilosophische Debatte statt, ob die westliche Zivilisation angesichts ihrer Klimasünden überhaupt noch aufrechtzuerhalten sei – oder ob nicht die Stammeskultur, wie sie der hochgelobte «globale Süden» angeblich pflegt, womöglich die überlegene Lebensform darstellt.

Auch die Demokratie selbst, getragen und praktiziert von selbstbestimmten, fleissigen Bürgerinnen und Bürgern, ist unter Klimaverdacht geraten: So gelangte der indische Historiker Dipesh Chakrabarty zu der grundstürzenden Überzeugung, die demokratischen Freiheiten hätten unverhältnismässigen Energieverschleiss zur Folge. Womit dieser Weltwächter aus dem «globalen Süden» eine Empfehlung ausspricht: weniger Freiheit gleich weniger Klimaschäden.

Konsequent weitergedacht, würde das bedeuten: keine Freiheit, keine Klimabelastung – Diktatur als Klimarettung. Es ist davon auszugehen, dass die westlichen Klimakinder Chakrabartys Erkenntnisse demnächst in ihre Sammlung politischer Gebote und Verbote aufnehmen – was ihnen unbenommen sein soll, da sie ja in Freiheit leben.

Im Lichte solcher Lehrmeinungen, die sich durchaus auf höchster Ebene zu praktischer Politik verdichten können, wäre pragmatisch kluges Gegendenken angebracht. Und gerade darum entfährt besorgten Zeitgenossen ein Seufzer, wenn nicht das Stossgebet: Ogottogott, warum nur ist die SVP eine so einfältige Partei? Warum nur gerät der Führungsclique dieser Partei jede sachlich begründete Kritik an der politischen Konkurrenz zum Pfusch – eins und eins ergibt aus Populistenmund mindestens zwanzig, und kein Bürger, der noch bei Trost ist, glaubts.

Aus der Posaune des Partei-Paten tönt das dann so: «Die Schweiz ist jetzt im Krieg!» Weil sie die westlichen Sanktionen gegen Russland übernommen hat.

Und dennoch braucht die Schweiz diese Partei. Trotz allem. Trotz ihrer selbst! Ohne «Stromgeneral». Und ohne die absonderliche Unterstellung, Simonetta Sommaruga bastele am Geheimplan für eine «Öko-Diktatur». Es braucht nämlich auch die feingliedrige, nachdenkliche, bisweilen etwas gar ernsthafte SP-Bundesrätin.

Die westliche, die freiheitliche, die demokratische, die rechtsstaatliche Gesellschaft steht in der Tat vor neuen, vor unvorhergesehenen Problemen: vor Ukraine-Krieg und Klimakrieg und Wirtschaftskrieg, mithin vor der Notwendigkeit, die Errungenschaften des modernen Sozialstaates zu bewahren und, wenn nötig, neu zu gestalten.

Dazu benötigt die offene Gesellschaft, was sie bereits besitzt, aber gern etwas gescheiter gebrauchen könnte: Opposition, die Opposition kann.

Eine SVP, die Politik produziert statt Pfusch.

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