Zukunftsforscherin Karin Frick im Interview
«Die Politik gibt nie den Takt an»

In ihrem Beruf gibt es nur das Morgen: Zukunftsforscherin Karin Frick über Roboter als persönliche Assistenten, Autos als Hobby und ihren Sohn, den «bibliophilen Snob».
Publiziert: 20.04.2016 um 14:57 Uhr
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Aktualisiert: 11.09.2018 um 07:27 Uhr
Gabi Schwegler

Frau Frick, ein Blick in die Zukunft: Wie werden Interviews in zwanzig Jahren geführt?
Karin Frick: Mit Telepathie. Sie müssten mir nicht mehr vis-à-vis sitzen, stattdessen können Sie mir die Fragen per Gedankenübertragung schicken. Die entsprechende Schnittstelle zum Hirn wird gerade erforscht. Für hörbehinderte Menschen beispielsweise gibt es bereits Implantate, die den Hörnerv stimulieren.

Ich fände es bedauerlich, Menschen nicht mehr persönlich zu treffen.
Keine Sorge, direkte Kommunikation wird weiterhin stattfinden. Die reale und die digitale Welt werden sich in Zukunft einfach noch viel mehr vermischen. Bildschirme verschwinden, weil wir direkt interagieren. Texte stehen in Hologrammen in der Luft, und wir können sie mit besonderen Brillen lesen.

Eine Firma in Hongkong hat 2014 bereits ein Rechenmodell in ihre Geschäftsleitung berufen. Wie geht das?
Die dreidimensionalen Abbildungen von künstlichen Intelligenzen werden immer plastischer und können mittlerweile die Gestalt eines Menschen annehmen. Es gibt Forschende, die ein digitales Ich als physischen Roboter schaffen und mit ihren Daten speisen. Die Software wird immer intelligenter und lernt laufend dazu. Besonders gefragte Manager könnten sich so multiplizieren und an drei Orten gleichzeitig sein.

Funktionieren diese Klone wirklich selbständig?
Noch nicht. Es wird aber Teile geben, in denen die digitalen Zwillinge komplett selbständig handeln: Sie sammeln für uns Informationen, sortieren diese und werten sie für uns aus. Das führen sie mit einem Filter durch, der unserem eigenen Profil entspricht, weil der digitale Zwilling bei uns gelernt hat. Unser Job wäre dann noch, alles zu überprüfen oder Basisrecherchen möglichst originell zu verknüpfen und uns mit neuen Ideen zu versorgen.

Roboter bleiben also Assistenten des Menschen?
Solange Menschen die Roboter entwickeln, wird sich daran nichts ändern. Dass Maschinen eine eigenständige Intelligenz entwickeln, ist noch weit weg. Roboter haben einen Ausschaltknopf, den gibt es bei Menschen nicht.

«Die Technik verändert sich schnell, Menschen verändern sich langsam»: Zukunftsforscherin Karin Frick.
Foto: Nik Hunger

Inwiefern übertrumpfen uns die Roboter?
Sie sind beim Zusammentragen und der Analyse von Fakten viel schneller und präziser als wir. Darüber hinaus haben sie permanenten Zugang zu aktuell verfügbarem Wissen. Ein Beispiel: Ein Onkologe kann unmöglich alle publizierten Studien lesen und überblicken. Ein Roboter könnte zu dessen Sparringpartner werden, die Symptomatik des Patienten mit bekannten Krebsformen abgleichen und nonstop nach neuem Wissen suchen. Währenddessen kann sich der Onkologe um die Behandlung des Patienten kümmern, statt Studien zu wälzen.

Wie gross ist die Gefahr, dass Roboter fürs Böse missbraucht werden?
Dieses Szenario hat es bereits gegeben: Bei 9/11 wurde ja ein Flugzeug in eine Bombe verwandelt. Die Bedrohung ist also real. Parallel zur technologischen Entwicklung verbessern sich aber auch die Sicherheitsmassnahmen. Statistisch gesehen gibt es nicht viele Leute, die intelligent genug sind, um diese immer intelligenteren Systeme auszutricksen.

Das klingt nicht sonderlich beruhigend.
Ich bin Optimistin. Langfristig betrachtet hat Technologie unser Leben verbessert, nicht belastet. Ich persönlich lebe lieber heute als vor hundert Jahren.

Wieso? Damals war der Alltag doch ruhiger.
Für Frauen nicht. Vor hundert Jahren wäre ich Mutter von zehn Kindern gewesen, hätte sie erst füttern müssen, dann den Stall machen, die Wäsche waschen und den Garten pflegen. Und Frauen durften damals nicht mal mitreden. Die Technologisierung hat uns Möglichkeiten und die erforderliche Zeit geschenkt, das zu tun, was wir gerne machen.

Die technischen Geräte erleichtern unser Leben, und trotzdem sind die Menschen zusehends gestresster. Ein Paradox?
Die Technik verändert sich schnell, Menschen verändern sich langsam. Informationen sind heute im Überfluss verfügbar, und wir müssen sie mit unserem beschränkten Hirn verarbeiten und sortieren. Wir stecken mitten in einer Umbruchphase und müssen erst lernen, wie wir all die technischen Hilfsmittel in der Informationsverarbeitung effizient nutzen.

Maschinen übernehmen oft NiedriglohnJobs, die einfach auszuführen sind. Was passiert mit Menschen, die ersetzt werden?
Es wird in unseren Breitengraden immer eine Nachfrage nach Hilfsdienstleistungen geben, Städte werden wir beispielsweise ja auch nie komplett umbauen. Und neue Technologien führen zu einer grösseren Nachfrage nach Unterhaltsdienstleistungen: Computerärzte und -pfleger warten und ersetzen die vielen smarten Geräte. Vom Szenario einer selbstreparierenden Technik sind wir ja noch einige Jahre entfernt.

3-D-Drucker US-Unternehmer Bre Pettis präsentierte am Trendtag 2011 am Gottlieb-DuttweilerInstitut einen der ersten 3-D-Drucker. «Ich hatte das Gefühl, am Anfang der nächsten industriellen Revolution live dabei zu sein», sagt Frick.
Foto: Entzeroth/GDI

Welche Technologie wird die Gesellschaft am meisten verändern?
Der 3-D-Drucker. In zehn Jahren werden wir 50 Prozent aller Non-Food-Artikel zu Hause ausdrucken. Ausserdem lassen sich mit 3-D-Druckern andere 3-D-Drucker herstellen. Dadurch haben die Menschen bald Zugriff auf eigene Produktionsmittel. Können sie mit diesen neuen Maschinen kreativ umgehen, sind sie immer weniger auf klassische Jobs angewiesen.

Wir müssen nicht länger arbeiten, um Geld zu verdienen?
Wir werden so oder so mit tieferen Löhnen haushalten müssen. Da wir aber mindestens die Hälfte unserer Alltagsdinge selber herstellen, brauchen wir auch weniger Geld. Designtalente könnten ausserdem Tauschgeschäfte starten. Fantasie ist nicht abhängig von akademischer Intelligenz.

Selbstgedrucktes wird zum neuen Statussymbol?
Sozusagen. Die junge Generation hat ohnehin ein anderes Verhältnis zu Besitz – gerade in einer Arbeitswelt, in der Jobs nicht mehr bis zur Pensionierung gesichert sind. Viele wollen ohne schweres Gepäck durchs Leben kommen. Bescheidenheit wird so zum neuen Statussymbol. Sie funktioniert aber nur in einer Gesellschaft mit hohem Wohlstand. Denn solange ich gar nichts habe, strebe ich nach Besitz.

Ein Auto sehen viele aber nicht nur als Besitz, sie verbinden damit Freiheit und Selbstbestimmung.
Nein, so viel Liebe zum Auto ist nicht mehr da, vor allem in der Stadt. Das Auto wird bald nur noch Spielzeug sein. In 25 Jahren besitzt man Autos so wie heute Pferde: als Hobby.

Möglicherweise stimmt das für die Stadt. Aber für das Leben auf dem Land?
Es stimmt, Busfahren müsste noch etwas cooler werden. Zum Beispiel durch selbstgesteuerte Busse, die uns direkt nach Hause fahren. Aber Trends werden immer in der Stadt gesetzt. Man sollte nicht vom Landleben ausgehen, auch nicht in der Mobilität.

Die politische Macht spricht in der Schweiz eine andere Sprache. Sie pocht derzeit laut auf Tradition statt auf Fortschritt. Wer gewinnt?
Wer Altes verteidigt und nichts Neues bietet, verliert. Die Schweiz ist ein exportorientiertes Land, Rückschritt oder Stillstand sind für uns keine Option.

Hat die Politik denn nichts zu sagen?
Sie gibt nie den Takt an, die Technologie bestimmt das Tempo. Ein Beispiel: Keine Regierung hat die Elektrifizierung rückgängig gemacht. Mit der Digitalisierung läuft es gleich, sie wird bald ganz normal sein. Vor zwanzig Jahren sagte man noch, Handys seien Statussymbole für Wichtigtuer.

Was ist der wichtigste Treiber für neue Technologien?
Bequemlichkeit. Technologie muss uns das Leben leichter machen und uns und unsere Gewohnheiten gut verstehen. Google kennt uns besser als die Freunde.

Das ist besorgniserregend.
Nun ja, wenn man sich verstanden fühlt, nutzt man die Technologie, vertraut ihr. Unser Ziel muss es sein, dass wir wissen, wer unsere Daten will – und entscheiden können, ob wir sie teilen wollen oder nicht.

Daran haben die grossen Datensammler aber kein Interesse.
Stimmt. Die Nutzer entscheiden sich aber für jene Systeme, die ihnen diese Entscheidung offen lassen. Das übt Druck aus. Daten teilen ist oft sehr bequem, deshalb tun wir es. Zum Beispiel mit Amazon oder Apple.

Finisherin: Zieleinlauf am New-York-Marathon 2013. Frick will stets unter vier Stunden laufen.
Foto: GusPhotos for MarathonFoto

Wieso tragen Sie keine Apple-Watch?
Weil ich sie hässlich finde. Und sie bietet mir im Moment noch keinen Mehrwert.

Soziale Netzwerke halten uns dazu an, mehr zu kommunizieren. Auch oberflächlicher?
Ich warne davor, die Vergangenheit zu romantisieren. Meine Grossmutter etwa sprach höchstens mit dem Pfarrer über ihre Gefühle. Insofern bieten uns Netzwerke mehr Möglichkeiten, uns mit Menschen auszutauschen, die uns nahestehen.

Sie sind zweifache Mutter: Hat eine Zukunftsforscherin Tech-Freaks als Kinder?
Mein älterer Sohn steht total auf Papier und liest ganz viele Bücher. Kürzlich bezeichnete ihn jemand als bibliophilen Snob. Ich wollte ihm für seine Dissertation in Germanistik einen E-Reader kaufen, er aber lehnte ab. Der Jüngere ist 13 und ein absoluter Gamer. Er ist via Handy oder Spielkonsole immer mit seinen Freunden verbunden. Die Zeit der asozialen Gamer im einsamen Keller ist definitiv vorbei.

Welche Werte wollen Sie den beiden mitgeben, um in der medialen Welt zu bestehen?
Respekt. Kommuniziert man mit Menschen, ist ein respektvoller Umgang immer intelligenter. Beleidigungen bleiben hängen, offline oder online. Das können wir uns nicht leisten in dieser vernetzten Welt, in der wir auf die Zusammenarbeit mit anderen angewiesen sind. Nur durch die Kooperation mit anderen kommen wir im Leben vorwärts.

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