Thomas Meyer rät
Verachtung als Mittel der Selbstbehauptung

Der Zürcher Schriftsteller Thomas Meyer diskutiert heute über Verachtung, Rachedurst, Absenz von Respekt und Mitgefühl zwischen den Menschen.
Publiziert: 20.11.2017 um 15:10 Uhr
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Aktualisiert: 12.09.2018 um 14:27 Uhr

«Meine Ex-Frau und ich waren seit über 20 Jahren getrennt und hatten kein gutes Verhältnis. Für ihren Todestag bei Exit wählte sie meinen Geburtstag.»

Krieg ist die maximierte Form des persönlichen Scheiterns

Man schlägt die Zeitung auf und wundert sich: Wie ist das möglich, diese pausenlose Wiederholung der Grässlichkeiten? Diese Mordlust, dieser Rachedurst, diese völlige Absenz von Respekt und Mitgefühl? Dieser durch nichts versöhnliche Hass, diese alles zerstörende Rechthaberei? Warum hört das nicht auf? Dann lässt man die Zeitung wieder sinken, blickt in das Gesicht eines misslaunigen Partners, einer gehässigen Mitarbeiterin oder eines cholerischen Chefs und denkt sich: Ach ja, genau. Deswegen. Weil Krieg nur die maximierte Form persönlichen Scheiterns ist.

Wo bleibt Respekt und Mitgefühl?

Solange die Menschen mit sich selbst nicht klarkommen, solange es ihnen nicht gelingt, ihre Gedanken und ihr Handeln konsequent auf Frieden und Freude auszurichten, werden sie es zu zweit nicht schaffen, und als Völker und Nationen erst recht nicht. Auch Ihre Ex-Frau scheint die Unversöhnlichkeit zum göttlichen Prinzip erhoben zu haben – anders ist diese perfide Terminwahl nicht zu erklären. Auch die Überzeugung, es sei klug und adäquat, jemandem 20 Jahre lang das Ende einer Ehe nachzutragen, zeigt in diese Richtung: Verachtung als optimales Mittel der Selbstbehauptung.

Die süsse Rache

Raffiniert ist es natürlich schon, dieses morbide Geschenk für all Ihre künftigen Geburtstage. Jedes Mal werden Sie denken: «Ausgerechnet heute!» Wenn Sie aber bedenken, dass der einstige Grund für Ihre Zusammenkunft Liebe war und dass diese zwar extrem perverse Formen annehmen kann, sogar Hass, aber dennoch die Kraft ist, die zwischen den Menschen wirkt, dann werden Sie auch sehen, was Ihre Ex-Frau Ihnen hinterlassen hat: einen Beleg für die Bedeutung, die sie Ihnen beigemessen hat. Dass sie allem Anschein nach ein tieftrauriger Mensch war, ist eine andere Geschichte. Bleibt nur noch die Frage, ob Sie es wirklich besser gemacht haben.

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Diese Stellen sind rund um die Uhr für Menschen in suizidalen Krisen und für ihr Umfeld da:

Adressen für Menschen, die jemanden durch Suizid verloren haben

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