Anfang Woche ging ein Tiktokvideo einer swingenden Familie viral, in dem sich Mutter und Tochter denselben Mann teilen. Nun stellt sich die Frage: Woher kommen eigentlich diese sexuellen Fantasien über Stiefmütter, Stiefväter oder Stiefgeschwister, die derzeit die Porno-Plattformen überfluten?
Sie räkeln sich auf den Sofas, Schlafzimmer oder unter den Duschen der grössten Pornowebsiten: Angebliche Stiefmütter, -väter, Stiefschwestern und Stiefbrüder, die ihre Hände nicht bei sich behalten, unglücklicherweise nackt in der Waschmaschine stecken bleiben oder mit sexuellen Gesten überrascht werden.
15 Mal mehr Step-Pornos auf Pornhub
Sexvideos mit vermeintlichen Stiefverwandten boomen: Waren gemäss dem Online-Archiv «Wayback Machine» im Jahr 2017 noch knapp 7000 Videos mit dem Wort «Step», auf Deutsch «Stief» im Titel auf Porno-Plattform Pornhub zu finden, sind es heute mit knapp 99’000 Videos fast 15 Mal so viele.
Auch Erotikhändler Thomas Scheurer weiss um die Beliebtheit der sexuellen Familiengefilde: «Bei uns in der Branche ist schon lange klar: Schreib einfach Wörter wie Inzest auf einen völlig normalen Pornofilm und schon reissen dir die Kunden die Titel aus den Händen. Inzest-Filme verkaufen sich bis zu 30 Prozent besser.»
«Aufregung und Erregung liegen sehr nahe beisammen»
Für Sexologin und Psychotherapeutin Dania Schiftan ist das Wort Inzest bei Stief-Pornos jedoch eher fehl am Platz. «Wohl die allerwenigsten Leute wollen solche Fantasien in der Realität ausleben.» Es gehe dabei meist um das Tabu, mit dem Pornos oft und gerne spielen. Denn: «Aufregung und Erregung liegen sehr nahe beisammen», so Schiftan. «Das Tabu kann für einen Kick sorgen, was wir in sexuelle Erregung umwandeln.»
Es sei also das Verbotene und die Grenzüberschreitung, was die Zuschauenden an Stief-Pornos reizen könne. Dies sei auch bei anderen beliebten Pornokategorien wie Sadomasochismus häufig der Fall, bei dem sexuelle Lust durch die Zufügung oder das Erleben von Schmerzen entstehe.»
Trotzdem: «Wohl die meisten Zuschauenden wissen, dass die Darstellerinnen und Darsteller bei Stief-Pornos weder bluts- noch stiefverwandt sind.» Ausserdem funktioniere die sexuelle Erregung wohl meist nur, wenn man das Geschehen nur auf dem Bildschirm beobachte und nicht persönlich involviert sei.
Je weniger Körper, desto mehr Kopf
Für Schiftan ist es eindeutig, weshalb viele Leute online extremere Vorlieben haben als im echten Leben. «Bei der Selbstbefriedigung mit Pornos beziehen viele Leute den Körper kaum mit ein: Man stimuliert nur einzelne Körperteile, während man sich ansonsten kaum bewegt. Der Sex findet also fast nur im Kopf statt.» Dadurch, dass der Körper unterstimuliert sei, benötige der Kopf eine umso extremere Stimulation, um diese Erregung aufrecht erhalten zu können.
Wenn jemand häufig Pornos schaue, könne es auch vorkommen, dass «gewöhnliche» Pornos mit der Zeit zur langweiligen Routine würden, so Schiftan. «Dann beginnen manche, sich in neuen Kategorien umzuschauen, wo sie ein neuer Kick und neue Erregung erwartet.» Dies führe auch zu Porno-Hypes wie dem Sadomasochismus-Trend, bei dem sexuelle Lust durch das Zufügen oder Erleben von Macht, Schmerz oder Demütigung empfunden werde.
Die Scham danach
Oft seien wir verzeihender, wenn bereits eine Grunderregung vorhanden sei. «Ist der Kopf noch zu präsent, können wir uns nicht so einfach auf Tabus einlassen», sagt Schiftan. Flaue die Erregung nach dem Orgasmus wieder ab, könne deshalb nach dem Pornokonsum Scham eintreten. «Ich höre oft Sätze wie: Weshalb habe ich mir bloss so etwas angeschaut!?», sagt Schiftan.
Natürlich sollte man sich den Mechanismen der Pornografie bewusst sein, so die Sexologin. Doch dann seien Kategorien wie der Step-Porn in der Regel nicht bedenklicher als andere Pornokategorien.