Katie Pears (48) hat Sex auf der Schauspielhaus-Bühne in Zürich. Wie die Zuschauer reagieren, nimmt sie nur am Rande wahr. «Manche bleiben stehen und schauen hin, andere gucken schnell weg. Aber so genau kann ich es nicht sehen.» Die zehnminütige Live-Performance zusammen mit Porno-Star Conny Dachs (57) ist der Beginn der Inszenierung «Kurze Interviews mit fiesen Männern – 22 Arten der Einsamkeit», basierend auf dem Werk des US-Autors David Foster Wallace.
Mehr als nur Sex
Blick hat die Erotik-Darstellerin im Schiffbau exklusiv für ein Gespräch getroffen. Sie freut sich, dass sie in dem Stück nicht nur für Sex engagiert wurde, sondern sie auch eine Sprechrolle hat. Zu verdanken sei das der Offenheit von Regisseurin Yana Ross (48). «Cool ist, dass ich meine eigenen Erfahrungen und Ideen einbringen konnte, und nicht bloss, was ich auswendig gelernt habe.» Selbstbewusst und mit der braven Stimme einer Primarlehrerin erteilt sie auf der Bühne Lektionen in weiblicher Lust, etwa wie ein perfekter Kuss funktioniert oder wie man orale Freuden bereitet. Für sie ist das auch eine Gelegenheit, Vorurteile gegenüber ihrem Job abzubauen. Katie Pears hat vor etwa 15 Jahren ihre Erotik-Karriere mit Amateur-Videos gestartet, bis heute betreibt sie ihre eigene Webcam und tritt an Messen und Anlässen als Stripperin auf.
Privates Liebesleben strikt getrennt
Was ihr wichtig ist: «Ich bestimme selber, was ich tue und was nicht. Und vor allem mit wem.» Sex vor der Kamera hatte sie immer nur mit ihrem jeweiligen Partner, es sei ein Blick ins Schlafzimmer, bei dem sie sich selber bleiben könne. Der Akt auf der Bühne im Schauspielhaus mit Porno-Darsteller Dachs ist eine Ausnahme. «Weil wir uns schon lange kennen, wir beide Profis sind und ich ihm vertraue.» Zur Sache gehts in einer Glasbox, gleichzeitig strömen die Zuschauer daran vorbei in den Saal. Wie fühlt sich das an, wenn man beim Intimsten so exponiert ist? Katie Pears winkt ab und lacht: «Das ist ein Job, ich fühle nix. Ich könnte sogar stricken dabei!» Man könne das nicht mit dem privaten Liebesleben vergleichen: «Das kann ich zum Glück auch nach all den Jahren noch immer gut trennen.»
Zudem sei ihre Szene im Stück ja bei weitem nicht die krasseste, so Katie Pears: «Viel extremer sind ja die Texte von Wallace.» Den Schriftsteller David Foster Wallace (1962–2008) kannte sie bisher nicht, sie gibt zu, dass sie sein Hörbuch nicht bis zum Ende geschafft hat, es sei «schwere Kost und teils auch schwer verständlich». Es geht darin um eine Sammlung männlicher Stimmen, von frustrierten, hilflosen und ängstlichen Männern, die schliesslich in Aggressionen und Sexismus kippen. Wie erfährt sie das, gerade in ihrem Job? «Man muss sich schon ein dickes Fell zulegen. Bei meiner Webcam schalten sich manchmal 40 bis 50 Männer zu. Da kommen manchmal schon erschreckende Kommentare. Aber ich höre einfach weg. Und ich tue nichts, was ich nicht will. Es ist wichtig, die eigenen Grenzen zu setzen.»
Wegen der Schwiegermutter ins Erotik-Geschäft
Zum Erotik-Geschäft ist sie indirekt wegen ihrer Schwiegermutter gekommen. «Wir waren bei ihr eingeladen, und sie erzählte was von einer Bekannten, die Telefon-Sex macht.» Katie wurde neugierig, und es dauerte nicht lange, bis sie mit ihrem Partner einen ersten Film drehte und auf einer einschlägigen Seite veröffentlichte. Das Paar staunte, wie leicht sich damit Geld verdienen liess, und machte weiter. «Wir konnten uns Dinge leisten, von denen wir vorher nur träumten, ein tolles Auto, ein grosses Haus, Geld für die Ausbildung meiner Kinder.» Ihre beiden Söhne waren damals Teenager. «Das war eine Herausforderung. Überhaupt ist es das Schwierigste, sich der Familie zu erklären. Mein Vater hat damals ein ganzes Jahr nicht mehr mit mir geredet.»
Heutzutage sei das Geschäft mit den vielen Gratis-Portalen schwieriger geworden. Für ihre Webcam-Auftritte bekommt sie nur 10 Prozent, den grossen Rest kassiert der Betreiber. «Wenn man mal in diesem Geschäft ist, gibt es kein Zurück mehr. Man kann das ja nicht in den Lebenslauf schreiben.» Zudem seien ihre Sex-Videos für alle Zeiten irgendwo im Internet abrufbar. «Damit muss man leben können. Damals war mir das nicht bewusst. Darum rate ich Einsteigerinnen, sich das gründlich zu überlegen.» Bereuen tut sie ihren Schritt dennoch nicht.
Schluss mit öffentlichem Sex
Nach dem Auftritt im Schauspielhaus ist für Katie Pears aber Schluss mit öffentlichem Sex. Ihr Kosmetikstudio sei bereits eröffnet, eine Kollegin arbeitet schon dort. Wenn im Schiffbau der letzte Vorhang fällt, wird sich Katie unter ihrem bürgerlichen Namen nur noch Haar-Extensions und Selbstbräuner widmen. Was sie sich weiterhin vorstellen könnte, ist, ihre Erfahrungen in einer Form von Sex-Beratung weiterzugeben, für Männer und Frauen: «Genau das, was ich jetzt auf der Bühne mache. Es scheint gut anzukommen, und mir macht es Spass.»