Vor diesem Theater wird ausdrücklich gewarnt: «Verbale Gewalt und Live-Sex» kommen hier vor. Das Publikum könne die Aufführung jederzeit verlassen. Erst mal wollen aber alle rein, in die Premiere von «Kurze Interviews mit fiesen Männern – 22 Arten der Einsamkeit» nach einem Buch von Kultautor David Foster Wallace. Leicht ungeduldig hören sich die Gäste am Samstagabend im Schiffbau die Corona-Sicherheitsvorschriften an, bis sie endlich durch den Eingang und mitten durch die Bühne geschleust werden.
Da gehts schon zur Sache, bevor ich meinen Sitzplatz gefunden habe. In einer Glasbox haben sich die Porno-Akteure bereits in Stellung gebracht: Katie Pears (48) und Conny Dachs (57) sind am Performen: rein und raus, von vorne, von hinten, von der Seite. Wegschauen geht nicht! Die beiden tun es mit stoischem Gleichmut, tonlos und lustlos. Der Begriff «zur Sache gehen» bekommt eine beklemmende Wirklichkeit – zeigt es doch die Entmenschlichung im privatesten Bereich.
Emotionslose Intimität
Persönlich schaue ich mir bewusst keine Pornos an, weil ich diese Bilder von emotionsloser Intimität nicht in meinem Kopfkino haben will. Tagtäglich werden Pornos im Internet millionenfach angeklickt, was wir hier zu sehen bekommen, ist ein Bruchteil davon. Regisseurin Yana Ross (48) hält uns damit den Spiegel unserer kulturellen Psyche vor, für sie ist Theater eine Form von Therapie, auf der Couch liegt an diesem Abend die Pornografie. «Sex ist im Vergleich zu den Worten von Wallace mild!», sagt sie. Wer sich gefreut hat, in den Genuss von einer Sex-Performance nach der anderen zu kommen, wird übrigens enttäuscht. Der Live-Sex beschränkt sich auf die ersten zehn Minuten.
Die Texte des amerikanischen Schriftstellers David Foster Wallace (1962–2008) sind eine Sammlung männlicher Stimmen, es geht viel um Sex und die Angst vor Frauen, die zu Alltagssexismus und sexualisierter Gewalt führt. Wallace, der an Depressionen litt und Selbstmord beging, beschreibt diese männliche Sicht auch von sich aus gehend, schonungslos, direkt und doch mit Humor. Die Regisseurin inszeniert das Stück als Zeitreise mit einer Gruppe von Cowboys in Pastellfarben – zum Ensemble gehört auch der Berner Schauspieler Michael Neuenschwander (59), bekannt aus der SRF-Serie «Wilder».
Infos: Zur Produktion gibt es drei begleitende Veranstaltungen:
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8. Oktober: Podiumsdiskussion mit Opferhilfeberaterin Agota Lavoyer
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23. Oktober: Workshop «Detox Masculinity» vom Mannebüro
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30. Oktober: Workshop «Nonviolent Communication»
Infos: Zur Produktion gibt es drei begleitende Veranstaltungen:
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8. Oktober: Podiumsdiskussion mit Opferhilfeberaterin Agota Lavoyer
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23. Oktober: Workshop «Detox Masculinity» vom Mannebüro
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30. Oktober: Workshop «Nonviolent Communication»
Eine Lektion in Liebe mit einem Pfirsich
Das Zusammenspiel zwischen klassischen Schauspielern und den Porno-Akteuren läuft wie geschmiert. Schon nach einer Viertelstunde hat Katie Pears ihren ersten Auftritt – mit Text! Gleicht sie mit ihren glatt gebügelten Haaren und Tattoos ganz dem Klischee einer Erotik-Darstellerin, überrascht ihre Präsenz, diese klare Stimme und totale Selbstsicherheit. Sie erteilt den Cowboys eine Lektion in weiblicher Lust. Jeder bekommt einen Pfirsich, um zu üben, wie man einer Frau orale Freuden bereitet. Und auch Darsteller Conny Dachs mischt sich unters Ensemble, singt und spielt wie einer von ihnen – es sind Begegnungen auf Augenhöhe.
Ein Highlight ist die Parodie auf die Sendung «Sternstunde», bei der darüber diskutiert wird, «Was Frauen wirklich wollen»: Entlarvend und mit absurdem Humor, die chauvinistischen Cowboys werden zum Schluss von der Moderatorin mit einem Haarföhn «erschossen» – dann reiten die Frauen lustvoll auf dem Rücken eines ausgestopften Bisons davon.
Am Schluss wirds schwer verdaulich
Nichts mehr zu lachen gibt es, als immer wieder der Text über die Vergewaltigung einer jungen Frau rezitiert wird. Die Worte von Wallace sind brutal, es fühlt sich an, als ob der ganze Saal die Luft anhält. Das ist schwer verdauliche Kost. So schwer, dass jetzt eine Zuschauerin den Saal verlässt.
Meine ganz persönliche Begeisterung gehört übrigens Katie Pears. Die Erotik-Darstellerin hat auch mir eine Lektion erteilt, und zwar in Sachen Vorurteile: Von ihr möchte ich mehr sehen und vor allem hören.