Popsängerin Christina Aguilera macht es vor
Frauen schminken sich ab

Der pure Look von Christina Aguilera gefällt. Wieso viele Frauen für den kompletten Verzicht auf Make-up trotzdem Mut brauchen und warum die Natürlichkeit manchmal auch geschminkt ist.
Publiziert: 11.04.2018 um 18:26 Uhr
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Aktualisiert: 12.08.2019 um 16:30 Uhr
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Christina Aguilera hat sich abgeschminkt: Bei einem Shooting für das New Yorker "Paper"-Magazin zeigt sie sich für einmal ganz natürlich.
Dana Liechti

Zart, beinahe kindlich. Die Augen etwas müde, Sonnensprossen auf Nase und Wangen. Fast hätte man Christina Aguilera nicht erkannt. Doch es ist tatsächlich die 37-jährige Popsängerin, die das ­Cover des New Yorker Life­style-Magazins «Paper» ziert. Ungeschminkt.

Am Anfang ihrer Karriere zeigte sie sich exzentrisch: dünne, auf­gemalte Augenbrauen, knallbunter Lidschatten und ein Pfund Make-up auf der Haut. Später bediente sie das Image einer Diva: platinblonde Haare, roter Lippenstift, schwarzer, geschwungener Lidstrich. Aguilera sah man nie natürlich. Bis jetzt.

Klar, ganz ungeschminkt und unretuschiert ist sie nicht, schliesslich ziert sie ein Cover eines Hochglanzmagazins. No-Make-up-Look nennt man diesen Schmink-Stil. Trotzdem: Christina Aguileras neue Natürlichkeit gefällt. Die Bilder machen sie bei Fans beliebter und lenken die Aufmerksamkeit der Medien auf sie. Ein kluger Schachzug der Sängerin, von der man zuletzt kaum mehr etwas ­gehört hatte. So bringt man sich kurz vor dem Release eines neuen Albums wieder in die Schlagzeilen.

Ungeschminkte Stars wurden vor zwei Jahren noch beleidigt

Noch vor zwei Jahren war das ­mediale und gesellschaftliche Echo auf ein ungeschminktes Gesicht in der Showbranche ein ganz anderes. Damals entschied R&B-Sängerin Alicia Keys (37) nach einem Shooting, bei dem sie ohne Make-up ­abgelichtet wurde, sich nicht mehr zu schminken und ihre natürliche Schönheit zu zelebrieren. Auf die ersten Bilder hagelte es Beleidigungen. Alicia Keys hat es trotzdem durchgezogen.

Alicia Keys schminkt sich seit 2016 nicht mehr. Auch nicht bei öffentlichen Auftritten wie hier an den Grammy-Verleihungen diesen Januar.
Foto: Lucas Jackson

Mittlerweile hat sich auch die ­Tonalität geändert, mit der über das Thema gesprochen wird. Wenn vor ein paar Jahren Prominente von Paparazzi ungeschminkt erwischt wurden, titelten Klatschhefte «So schlimm sieht sie wirklich aus» oder «Schock-Galerie: Hollywood ungeschminkt». Heute inszenieren sich berühmte und weniger berühmte Frauen gar selbst ungeschminkt auf Instagram. Laden ­unter dem Hashtag #nomakeup unzählige Selfies hoch: ohne Filter, ohne Make-up, ohne viel Tamtam. Und werden deshalb für ihren Mut bewundert.

Der Trend lautet: mehr Natürlichkeit. Die Augenbrauen dürfen wieder buschiger sein, zu viel ­Puder gilt als unschön, die Haut soll frisch wirken, die Haare möglichst ungestylt aussehen. Wer nicht immer rasieren mag, lässt Achsel- und Beinhaare auch mal spriessen. In der Mode wird auf ­lockere, weite Schnitte gesetzt.

Was natürlich aussieht, ist es nicht immer

Auch die Zürcher Make-up-Artistin Sophia Singh (29), die etwa für Shootings in London und Zürich oder Fashion Shows in Mailand ­arbeitet, erkennt einen Wandel zu mehr Natürlichkeit, besonders im Ausland. In der Schweiz sei ein schlichter, echter Style schon immer gefragt gewesen. «Aber in den letzten Jahren ist der dezente, natür­liche Look noch beliebter geworden, ich mache oft minimalistisches Make-up und einfache Haare», sagt sie.

Stars sind Inspiration und Mutmacher. Aber der dezente Stil sei auch ein Gegentrend zu dem seit fünf Jahren beliebten Contouring-Style, der vor allem durch die Kardashians bekannt wurde und sich durch grobe Konturen, stark ­betonte Augenbrauen und falsche Wimpern auszeichnet. Ein harter Gegensatz zum ungeschminkten Gesicht.

Aber auch was natürlich wirkt, ist es nicht immer. Der No-Make-up-Look ist genauso aufwendig zu schminken wie manch anderer, Undone-Haare sind im Grunde oft perfekt frisiert, und in den Social Media wird ein Filter übers Foto ­gelegt, damit der Teint frischer, die Augen strahlender und die Zähne weisser aussehen.

Christina Aguilera (fast) ganz pur: Beinahe hätte man die 37-jährige Sängerin nicht erkannt.

Schminken gehört nach wie vor zum Alltag vieler Frauen. Wenn nicht übertrieben, dann dezent. Es gibt viele Gründe, wieso frau sich schminkt. Als Schutz, als Push fürs Selbstvertrauen. Ziemlich viele Frauen schminken sich auch ganz einfach deshalb, weil sie es schön finden.

Die meisten haben sich schlicht daran gewöhnt, seit sie mit 14 zum ersten Mal mit einer Mascara ihre Wimpern getuscht, mit einem Pinsel ihre Wangen gepudert haben. Sie können sich plötzlich ohne ­Make-up kaum noch anschauen. Frauen, die sich schminken, haben zwei Gesichter. Ein geschminktes und ein ungeschminktes. Das wird vor allem dann bewusst, wenn frau es wagt, mal ungeschminkt aus dem Haus zu gehen. Dann wird im Büro schnell mal gefragt, ob man krank sei oder nicht geschlafen habe.

Wenn das fahle Gesicht im ­Spiegel erschreckt

In solchen Momenten mag manch eine jene Frauen in ihrem Umfeld bewundern, die schon vor dem Trend zur Natürlichkeit kleine Rebellinnen waren. Die nie angefangen haben, sich zu schminken. Nie erschrecken ob des fahlen Gesichts mit Rötungen und dünnen Wimpern im Spiegel, wenn das Make-up abends auf dem Wattepad klebt.

Schminken ist ein uraltes Relikt aus der Vergangenheit. Das beweisen Höhlenmalereien. Im Zeitalter der Digitalisierung, in dem Frauen ununterbrochen an die vermeintlich makellose Schönheit anderer erinnert werden, in dem es unzählige Pinselchen, Püderchen und Foto­bearbeitungstools gibt, um das eigene Aussehen zu perfektionieren, ist es kein Wunder, dass Schminken noch immer populär ist.

Gerade deshalb ist der Trend zu mehr Natür­lichkeit erfreulich. Fotos wie jenes von Christina Aguilera könnten Frauen Mut machen, sich auch selbst wieder mal abzuschminken. Die eigene, ursprüngliche Schönheit und Einzigartigkeit mit all ­ihren Facetten zu würdigen.


Aber Achtung: Wer ganz natürlich aus dem Haus geht, wird nicht aussehen wie Aguilera auf dem ­«Paper»-Cover. Auch sie würde das nicht. Ausser vielleicht mit dem ­No-Make-up-Look: geschminkt ­ungeschminkt eben.

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