Patti Basler, waren Sie als Lehrerin jeweils nervös vor Schuljahresbeginn?
Patti Basler: Nein, eher freudig erregt. Ich hatte erst in den letzten Ferienwochen genügend Druck zum Arbeiten und Vorbereiten. Schon als Schülerin empfand ich lange Sommerferien als Belastung.
Wie bitte?
Ferien bedeuteten Langeweile und Mitarbeit auf dem Bauernhof. Deshalb plante ich schon in der ersten Klasse eine Schulreform: Lange Ferien und freie Mittwochnachmittage abschaffen, stattdessen die Hausaufgaben in der Schule erledigen. Das könnte ich aus Sicht der Schulkinder noch immer unterschreiben.
Keine Hausaufgaben, weniger Ferien?
Ja. Aber der Lehrkörper braucht diese langen Sommerferien. Es herrscht jeweils eine Art Vorsommerferien-Burnout: Die letzten zwei Monate gibt man noch das letzte Quäntchen Energie, das man durch die Venen pumpt. Danach ist man aber nicht tiefenentspannt, sondern für zwei Wochen scheintot. Ich war da keine Ausnahme. Ein System, das nur funktioniert, indem man sich so ausbeutet, ist doch im Grund bescheuert.
Was zehrt denn so sehr?
Zum Unterrichten gehört wohl etwas Idealismus, denn wer mit ähnlichen Qualifikationen reich werden möchte, studiert Wirtschaft. Idealismus sorgt aber dafür, dass nicht nur Dienst nach Plan geleistet wird. Man versucht wirklich, den verschiedenen Rollen und Ansprüchen gerecht zu werden. Das zehrt. Zeitliche Belastung, energetische Belastung, Multitasken-Müssen, Mental Load, Mitdenken für 25 Kinder, ihre Eltern, ihre Geschwister, den Onkel und den Hamster.
Patti Basler (48) ist ausgebildete Sekundarlehrerin und hat ein Studium in Erziehungswissenschaften, Kriminologie und Soziologie abgeschlossen. Sie hat zahlreiche Preise für ihre Arbeit als Kabarettistin und Slam-Poetin gewonnen. Seit Herbst 2023 bespielt sie mit ihrem Bühnenpartner Philippe Kuhn (48) und dem abendfüllenden Comedy-Programm «Lücke» die Schweizer Bühnen. Patti Basler wuchs als Bauernkind im Fricktal auf und lebt in Baden AG.
Patti Basler (48) ist ausgebildete Sekundarlehrerin und hat ein Studium in Erziehungswissenschaften, Kriminologie und Soziologie abgeschlossen. Sie hat zahlreiche Preise für ihre Arbeit als Kabarettistin und Slam-Poetin gewonnen. Seit Herbst 2023 bespielt sie mit ihrem Bühnenpartner Philippe Kuhn (48) und dem abendfüllenden Comedy-Programm «Lücke» die Schweizer Bühnen. Patti Basler wuchs als Bauernkind im Fricktal auf und lebt in Baden AG.
Kürzlich ergab eine Umfrage: Lehrpersonen bewerten ihre Zufriedenheit mit der Note 4,2. Darf ein «Genügend» genügen?
Die Note 4,2 dürfte besser sein, als viele Menschen, die sich mit Bildung auskennen, befürchtet haben. Schliesslich bedeutet der eklatante Fachkräftemangel an den Schulen mehr Arbeit und Stress für ausgebildete Lehrpersonen. Die Note ist auf jeden Fall ein Alarmzeichen, gilt Bildung doch als eines der höchsten Güter der Schweiz.
Ein Ausreisser nach unten in der Befragung ist die Zufriedenheitsnote für die integrative Förderung: 3,7. Die FDP erachtet die integrative Schule als gescheitert. Ist sie das?
Die Frage kann ich so nicht beantworten, sie ist meines Erachtens falsch gestellt. Ob integrative Schule oder Sonderklassen, ob Niveauklassen oder verschiedene Schulstufen, in jeder Form von Unterricht braucht es einen sinnvollen Betreuungsschlüssel.
Das Verhältnis von ausgebildeter Lehrperson zu Kindern.
Richtig. Heute sollen in jedem Unterrichtssystem die Kinder individuell gefördert werden. Bei einer 25-köpfigen Klasse bleiben der Lehrperson etwa 30 Sekunden pro Lektion für die individuelle Förderung jedes Kindes. Das reicht nicht. Nicht bei einem fremdsprachigen Kind, nicht bei einem muttersprachlichen Kind, nicht bei einem Kind mit Lernschwächen und nicht bei einem hochbegabten, das mehr Stoff braucht. Es reicht einfach nicht. Gescheitert ist nicht die integrative Schule, sondern dieser Betreuungsschlüssel von verantwortlicher Lehrperson und Kind, ein Verhältnis von 1:25.
Besserer Betreuungsschlüssel, bessere integrative Förderung?
Es bräuchte halb so grosse Klassen, aber doppelt so viele ausgebildete Lehrkräfte. Das kostet. Das verschweigt die FDP. Und noch etwas.
Was?
Sonderklassen sind garantiert nicht günstiger. Steckt man die – in Anführungszeichen – schwächsten Schülerinnen und Schüler in eine Klasse, muss diese noch kleiner werden. Sie brauchen noch mehr individuelle Aufmerksamkeit. Da gibt es nicht mehr wie in der durchmischten Regelklasse ein Gschpänli, das den Stoff erklären kann. Was übrigens für das lernende und das lehrende Kind sehr effizient ist, um Schulstoff zu festigen. Diese ursprüngliche Idee von integrativen Systemen funktioniert nicht nur in der Theorie.
Haben Sie als Lehrerin diese Erfahrung auch selbst gemacht?
Ja. An der Privatschule mit Klassen von maximal zwölf Kindern war von Lernbehinderungen bis Gymi-Niveau alles dabei. Gemischte Klassen haben bestens funktioniert. Nur in gewissen Fächern unterteilte man in noch kleinere Niveau-Klassen. Bei gemeinsamen Projekten konnten die Kinder voneinander profitieren.
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Diskussionen über Schulreformen verlaufen oft hitzig. Vermissen Sie die Stimme der Wissenschaft in den Debatten?
Die Stimme selbst wäre da. Ich vermisse das Anhören und Folgen dieser Stimme. Sei es Klima, sei es Schulklima, alle haben es selber erlebt und haben etwas zu sagen. Doch eigene Erfahrungen machen uns nicht zwingend zu Experten, sie können sogar den Blick fürs Ganze verstellen. Lehrkräfte sind eine Art Zwischenform, sie haben zwar Expertise im Unterrichten, aber das macht sie nicht unbedingt zu Bildungsexperten oder gar Wissenschaftlerinnen. Denn sie haben eine Position inne, eine Position braucht eine Haltung, und Haltung hat meistens auch eine Meinung zur Folge.
Was heisst das?
Angenommen man erlebt selber die Überforderung mit einer integrativen Klasse. Und beobachtet dasselbe im Kollegium. Klar wird schnell der Ruf laut, diese Schulform sei gescheitert. Anekdotisches Wissen aus der eigenen Biografie ist nicht falsch. Doch man selber ist nur ein ganz kleiner Teil, die befreundeten Menschen sind nur ein kleiner Teil. Meist befindet man sich ohnehin in einem gesellschaftlichen Milieu, in dem die Leute ähnliche Erfahrungen machen. Das muss aber nicht stimmen für die gesamte Gesellschaft.
Woran hätten Sie geforscht, wenn Sie in der Wissenschaft geblieben wären?
Am Konjunktiv II: Hätte, hätte, Fahrradkette. Ich hätte nicht weitergeforscht. Ich wäre nicht jahrelang im stillen Kämmerchen gesessen. Im Studium interessierte ich mich für das Jugendalter, wenn Weichen gestellt werden, für Randgruppen, für die Rolle der Bildung.
Kürzlich schrieben Sie einen Gastbeitrag für ein Schulblatt, danach titelten verschiedene Medien: «Patti Basler ist gegen Schulnoten». Sind Sie das?
Nein, nicht per se. In einem satirischen Beitrag machte ich Wortspiele mit Musiknoten und Schulnoten. Der Titel entstand aus einem Zitat ohne Kontext.
Was halten Sie von politischen Bestrebungen in verschiedenen Kantonen, eine Schulnotenpflicht für die Unterstufe ins Gesetz zu schreiben?
Ein seltsames Politikum. Warum solch eine teure Reform, wenn es gut funktioniert? Wer Ahnung hat von Unterricht, Lernverhalten und kindlicher Entwicklung, kann die Argumente für eine Wiedereinführung von Unterstufen-Noten in zwei Sätzen widerlegen.
Nämlich?
Unterstufenkinder haben einen extrem unterschiedlichen Entwicklungsstand, auch wegen der inzwischen sehr frühen Einschulung, sie sind nicht vergleichbar, Noten können ihr Potenzial nicht voraussagen. In diesem Alter führen Noten zudem erwiesenermassen nicht zu besseren Leistungen.
Mit dem stärkeren Fokus auf individuelles Lernen verändert sich das Profil der Lehrperson: Von der Performerin vor der Klasse wird sie zum Coach. Hätten Sie sich damit arrangiert?
Eine Lehrkraft ist dann am besten, wenn sie ihr Potenzial ausschöpfen und hinter der Art des Unterrichts stehen kann. Wer wie ich gut im Performen ist, im Geschichtenerzählen, im Anführen des Rudels, muss dies weiterhin anbieten können, denn die Kinder profitieren davon. Coach sein heisst aber nicht, dass dies nicht mehr geht. Es braucht beides, das Vorzeigen und das Begleiten. Und manchmal sind diese Rollen vielleicht auf zwei verschiedene Personen aufgeteilt.
Wie wichtig ist Humor im Klassenzimmer?
Eine allgemeine heitere Gelassenheit, schwierige Situationen mit Humor aufzulösen, Fakten lustig zu präsentieren, ist unbezahlbar. Sarkasmus hingegen ist heikel.
Warum?
Er geht meist auf Kosten von jemandem. Gerade Pubertierende sind da sehr sensibel, sie fühlen sich gemobbt. Von der Lehrperson.
Ich erinnere mich bis heute an einen Witz, den mein Gymi-Bio-Lehrer auf meine Kosten gemacht hat, nachdem ich eine falsche Antwort gegeben hatte. Alle lachten.
Früher hat man Jugendliche oft bewusst an den Pranger gestellt, um ihnen eine bleibende Lektion zu erteilen. Denn die Erinnerung an die Scham, an den Schmerz der peinlichen Situation sitzt tief. Doch dieses Mittel ist unethisch, ungesund für die Seele der Kinder und schlecht für das Schulklima.
Apropos Gesundheit: Die Idee eines Handyverbots an Oberstufen gewinnt Unterstützung, weil die Jugendlichen in den Pausen nur am Handy hängen.
Wenn ein Erwachsener eine Pause hat, im Bus, im Zug, am Bahnhof und nicht aufs Handy schaut, informiert man sicherheitshalber die Polizei oder den psychiatrischen Notdienst. Das nicht mehr wegzudenkende Alltagsgerät ist leider schädlich für jugendliche Gehirne. Vielleicht könnte ein Kompromiss funktionieren: Handyverbot an Vormittagen, nicht aber an Nachmittagen.
Ihre Bühnenprogramme tragen Titel, die mit Schule zu tun haben: Frontalunterricht, Nachsitzen, Lücke. Meldet sich da die Lehrerin in Ihnen?
Eher die Wissenschaftlerin, die zwanghaft die eigenen Thesen auf die Probe stellt und hinterfragt. Wir machen das durch Satire – und kommen übrigens immer mehr weg von Schulthemen.
Sie sind – als einzige Frau – mit Ihrem Bühnenpartner Philippe Kuhn für den Swiss Comedy Award nominiert. Warum soll das Publikum für Sie stimmen?
Wer Frauen auf Comedy-Bühnen sehen will, wer lustig findet, was wir machen, soll für uns stimmen. Auf meiner Homepage findet man Auftrittstermine, Audios und Videos, falls man sich noch persönlich überzeugen möchte bis Anfang September. Oft wird mir unterstellt, ich arbeite beim Fernsehen. Was für eine Beleidigung. Ich arbeitete nie beim Fernsehen und lebe nicht von den Gebühren. Ich wäre so teuer, das Budget der restlichen Sendungen erlitte eine Halbierung. Ganz ohne Initiative.
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