Feministen Vincent-Immanuel Herr und Martin Speer
«Die meisten Männer sind unbewusste Sexisten»

Sie wissen, was Männer wirklich über Frauen denken. Die Feministen Vincent-Immanuel Herr und Martin Speer schulen Hunderte von Männern zum Thema Gleichstellung. Ein Interview über Stärke, sexistische Sprüche – und darüber, welche Vorteile Gleichstellung Männern bringt.
Publiziert: 08.03.2025 um 13:45 Uhr
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Aktualisiert: 10.03.2025 um 11:25 Uhr
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Vincent-Immanuel Herr (l.) und Martin Speer sind Autoren, Berater und Speaker. Sie setzen sich für eine geschlechtergerechte Gesellschaft ein.
Foto: Sapna Richter
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Karen SchärerTeamlead Gesellschaft

Die Woche vor dem heutigen Weltfrauentag ist für die Berater Vincent-Immanuel Herr (36) und Martin Speer (38) die intensivste Zeit des Jahres. Am Tag nach dem Interview per Videocall werden sie einen Workshop bei der deutschen Bundeswehr leiten.

Müssen wir uns von Männern erklären lassen, wie Gleichstellung funktioniert?
Vincent Herr: Auf keinen Fall. Im Gegenteil. Männer müssen von Frauen lernen, sich mit ihnen verbünden und insbesondere gegenüber anderen Männern Erziehungsarbeit leisten.

Spüren Sie in Ihren Männer-Workshops die Haltung, was haben wir jetzt schon wieder falsch gemacht?
Martin Speer: Eine gewisse Genervtheit ist präsent. Auch Schuldgefühle und Veränderungssehnsucht. Damit arbeiten wir. Wir ermutigen, Männlichkeit kritisch zu reflektieren.
Herr: Wir sind selber keine Heiligen. Auch wir haben sexistische Witze gemacht, auch wir lernen immer noch.
Speer: Jeder Mann müsste ehrlicherweise sagen: Ich war ein Sexist.
Herr: Diese Ehrlichkeit ist wichtig. Erst dann fangen wir an, Teil der Lösung zu sein.

Also quasi vom Sexisten zum Feministen. Kostet es Sie Mut, sich als Feminist zu bezeichnen?
Herr: Nein. Wenn Männer für das Thema Flagge zeigen, kriegen sie deutlich weniger Widerstand, als wenn Frauen das tun. Das nennt sich männliches Privileg. Wichtig ist, dass Männer dann dieses Privileg für Veränderung nutzen.

Männliche Feministen

Als Herr & Speer agieren die beiden Deutschen Vincent-Immanuel Herr (*1988) und Martin Speer (*1986) als Berater, Autoren und Speaker. Im Zentrum ihrer Arbeit steht Male Allyship (Männer als Verbündete im Feminismus), Geschlechtergerechtigkeit und Europäische Integration. Ihr Engagement wurde mehrfach ausgezeichnet. Im Jahr 2022 waren sie Teil des Gender Equality Advisory Council der G7-Staaten. Ihr Buch «Wenn die letzte Frau den Raum verlässt» erschien Ende Februar 2025 bei Ullstein. Es analysiert die Gedanken- und Sorgenwelt von Männern, entkräftet ihre Argumente und liefert Tipps, wie Männer zu Verbündeten von Frauen werden.

Als Herr & Speer agieren die beiden Deutschen Vincent-Immanuel Herr (*1988) und Martin Speer (*1986) als Berater, Autoren und Speaker. Im Zentrum ihrer Arbeit steht Male Allyship (Männer als Verbündete im Feminismus), Geschlechtergerechtigkeit und Europäische Integration. Ihr Engagement wurde mehrfach ausgezeichnet. Im Jahr 2022 waren sie Teil des Gender Equality Advisory Council der G7-Staaten. Ihr Buch «Wenn die letzte Frau den Raum verlässt» erschien Ende Februar 2025 bei Ullstein. Es analysiert die Gedanken- und Sorgenwelt von Männern, entkräftet ihre Argumente und liefert Tipps, wie Männer zu Verbündeten von Frauen werden.

Ihr Buch heisst «Wenn die letzte Frau den Raum verlässt». Was passiert dann?
Herr: Ton und Atmosphäre ändern sich. Männer verlieren eine Selbstzensur, die sie sich auferlegen, wenn Frauen dabei sind. Wir hören Widerstand, Zweifel, aber auch Sorgen und Ängste, was die Themen Frauen, Gleichberechtigung und Gender angeht.

Sie stellen in Ihrem Buch zehn Männertypen vor. Welcher Typ behindert die Gleichstellung am meisten?
Herr: Am problematischsten sind der Sexist und der Antifeminist. Sie argumentieren aus Überzeugung, dass Frauen weniger kompetent seien, dass ihre primäre Aufgabe im Haushalt bei den Kindern sei. Mit diesen Männern kann man nicht viel machen.

Sie konzentrieren sich also auf die anderen.
Herr: Die meisten Männer sind unbewusste Sexisten. Das Problem ist fehlendes Wissen. Kompliziert ist der Statistiker. Er hinterfragt alles, es geht ihm etwa um Quellen von Statistiken.
Speer: Das entmenschlicht und entemotionalisiert das Thema.
Herr: Männer müssen verstehen, dass es die Schwester, die Partnerin, die Tochter, die Kollegin betrifft. Das Thema muss zu einer eigenen Erfahrung aus dem eigenen Umfeld werden. Dann ist häufig auch die Bereitschaft da, sich zu engagieren.

Feminismus ist nichts Radikales. Vincent Herr sagt: «Feministinnen fordern, was selbstverständlich ist: ein Leben auf Augenhöhe, Respekt, Anerkennung, gleiche Zugänge, gleiche Chancen, gleiche Sicherheiten.»
Foto: Sapna Richter

Was soll der Mann konkret tun?
Herr: Der erste Schritt ist, Frauen zuzuhören. Bei den meisten Männern wird dadurch eine gewisse Sensibilität hergestellt für diese ganzen Mikrosexismen – wie man spricht, welche Gesten man macht, worüber man lacht. Aber es ist ein langer Weg: Wir müssen uns als Männer rausschälen aus einer über Jahrhunderte gebildeten Gesellschafts- und Kulturnorm, in der ein gewisser Sexismus als vollkommen akzeptabel dargestellt und empfunden wird.

Ein Beispiel?
Speer: Wenn ein Auto schlecht einparkt, denken die meisten Männer, da sei eine Frau am Steuer. Solche anerzogenen Denkmuster zu durchbrechen, braucht eine konstante Selbstkritik. Kein Mensch ist perfekt.

Aktuell dominieren laute, stereotyp männliche Männer die Weltpolitik. Sind die Zeiten gerade ungünstig für einfühlsamere, sensiblere Männer?
Speer: Der feministische Mann, das ist keine Schwäche, das ist eine grosse und tiefe Stärke. Die Art und Weise, wie Trump Politik macht, erinnert an einen Schulhof-Rüpel. Da müssen wir mit einem neuen Männlichkeitsbild ein Gegenbild setzen, das zeigt: Stärke, Einfühlungsvermögen und Füreinander-Dasein, das geht zusammen.
Herr: Gerade jetzt ist es wichtig, dass das Banner der Gleichberechtigung nicht nur von Frauen hochgehalten wird. Wir brauchen nicht immer Männer, die auf der grössten Bühne stehen, sondern Männer, die das in ihrem Umfeld natürlich leben und dadurch Vorbilder sind für andere Männer.

Engagierter Feminist: Martin Speer sagt: «Wir Männer sollten erkennen, dass der Feminismus auch unser Leben besser, gesünder, balancierter und freier machen kann.»
Foto: Sapna Richter

Was hat ein Mann davon, wenn er sich für Gleichstellung einsetzt?
Herr: Sie bringt Vorteile für Männer. Wir leben in einer Gesellschaft, die offener ist, wo Männer Elternzeit nehmen können, ohne schief angeguckt zu werden, wo Männer gesünder und länger leben, weniger Stress haben, sich die Verantwortung mit einer Frau auf Augenhöhe teilen können.
Speer: Und in den Unternehmen liegen die Vorteile in Krisenresilienz, Innovationskraft, gute Leute halten, gute Leute gewinnen – Gleichstellung hat auch wirtschaftlich positive Effekte.

Gibt es denn eine Situation, in der Sie sich nicht trauen würden, die Stimme zu erheben?
Herr: Ich überlege mir öfter, was meine Rolle ist gegenüber Männern, die ich nicht kenne. Muss ich zu einer Gruppe Männer rübergehen, die eine junge Frau merkwürdig angucken? Vielleicht ist das kontraproduktiv oder sogar gefährlich. Ich habe noch keine perfekte Lösung. Im Zweifelsfall ist mehr Engagement aber besser als weniger.

Wie reagiert man am besten, wenn ein sexistischer Spruch fällt?
Herr: Das Wichtigste ist: Infrage stellen, dass der Spruch gerade ganz normal war. Man kann den Fluss der Kommunikation brechen, indem man laut «Autsch» sagt. Oder: «Den Spruch fand ich nicht lustig.»
Speer: Oder: «Du willst doch nicht, dass wir das über deine Schwester sagen?»
Herr: Das ist effektiv. Aber auch kontrovers. Viele Feministinnen sagen zu Recht: Na ja, warum ist es erst ein Problem, wenn es um die eigene Schwester geht? Aber der Spruch schafft die persönliche Verbindung. Wichtig ist, dass man in diesen Gesprächen als Mann nicht für die Frau spricht.

Wie meinen Sie das?
Herr: Wenn in einem Meeting eine Frau unterbrochen wird, ein Witz über sie kommt oder ihre Idee geklaut wird, nicht sagen: Sabine gefällt das nicht. Stattdessen sollte man sagen: Mir gefällt das nicht. Um klar zu zeigen, das ist nicht nur ein Problem für die Frauen, sondern auch für mich als anwesender Mann. Umfragen zeigen, dass Männer besser zuhören, wenn Männer das Thema ansprechen, als wenn eine Frau sich gegen einen sexistischen Spruch wehrt.

Und so wird der Mann doch wieder zum Ritter.
Herr: Frauen brauchen keine Rettung durch Männer. Die sind mehr als stark genug. Männer aber müssen ihren Teil leisten zu einer Gesellschaft, die mit weniger Diskriminierung auskommt und in der wir uns alle besser verwirklichen können.

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