Weder Gott noch die Natur sind verantwortlich dafür, dass Männer sich verhalten, wie sie es tun. «Männer sind im Zwang zur Männlichkeit verbunden», sagt Markus Theunert (50). «Wenn sie erkennen, dass sie gelernt haben, sich wie ein ‹richtiger Mann› zu verhalten, können sie ihr Mannsein freier gestalten.»
Vom Gesamtleiter des Dachverbands Schweizer Männer- und Väterorganisationen, männer.ch, ist vor wenigen Tagen das Buch «Jungs, wir schaffen das» erschienen.
Zu schaffen gibt es nicht weniger als die Überwindung des Patriarchats durch neue Vorstellungen von Männlichkeit. Theunert versteht unter Patriarchat eine Herrschaft von männlichem Weltverständnis, wonach man sich selbst- und fremdausbeuterisch nehmen darf, was man braucht.
Männlichkeitsnormen befeuern Klimawandel
Von einem Ablegen von traditionell männlichen Verhaltensweisen profitiere einerseits die Gesellschaft als Ganzes, ist der Psychologe überzeugt. Denn Gewalt, Krieg und Klimawandel würden allesamt durch toxische Männlichkeitsnormen befeuert.
Andererseits komme ein Umlernen jedem einzelnen Mann zugute. Denn: «Die Orientierung an traditionellen Männlichkeitsnormen fördert riskantes Verhalten und ist gesundheitsgefährdend», sagt Theunert und beruft sich auf wissenschaftliche Studien.
So suchen sich Männer später Unterstützung oder ärztliche Hilfe, und sie nehmen sich dreimal häufiger als Frauen das Leben. Umgekehrt lebt lieber und – im statistischen Schnitt – länger, wer sich selbst umsorgt, Beziehungen nährt, sich in ein soziales Gefüge einlässt und Unterstützung annimmt. Verhaltensweisen, die nicht als typisch männlich gelten.
Kulturelle Anforderungen führen dazu, dass Buben und Männer lernen, alles von sich abzuspalten, was als unmännlich gilt. Zum Beispiel, vor Anderen zu weinen. Oder sich generell mit sich und seinen Empfindungen auseinanderzusetzen. Ein Beispiel: «Typischerweise suchen Männer bei Erschöpfung und Enttäuschung nicht Ruhe und Regeneration», sagt Theunert. Sondern Betäubung (Alkohol, Drogen) oder Aktivität (Sport, noch mehr Arbeit). Die Zuwendung ins Innere sei für traditionell sozialisierte Männer schwierig, sagt Theunert. Denn da lauern «unmännliche» Gefühle.
Mannsein ist kompliziert geworden
Doch das Bild der Männlichkeit wandelt sich. Heute sollen Männer fürsorglich sein, als präsente Väter wirken. Das macht Mannsein noch komplizierter. «Die neuen Normen lösen die alten nicht ab, sondern kommen dazu, obwohl sie sich völlig widersprechen», sagt Markus Theunert. Die Folge: doppelte Arbeit, Zerrissenheit, Verwirrung. «Man kann nicht gleichzeitig sich selbst tough managen und einfühlsam sein mit sich und anderen.»
Die Lösung? «Ich will niemandem sagen, wie ein Mann zu sein hat. Und Männer müssen nicht wie Frauen werden», sagt Theunert. Doch: Wer erkennt, dass Mannsein und Männlichkeit zwei unterschiedliche Dinge sind, gewinne die Freiheit, sich sein eigenes Mannsein wie an einem Buffet zusammenzustellen. «Wem das begrenzte Angebot traditioneller Männlichkeitsnormen passt, wunderbar. Für alle anderen bedeutet ein erweitertes Buffet mehr Wahlmöglichkeit und Gestaltungsfreiheit.»
Markus Theunert: «Jungs, wir schaffen das. Ein Kompass für Männer von heute», Kohlhammer, 2023.
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