Die Schweiz, eine Nation von Faulenzern? Das ist der Tenor mehrerer Medienberichte der letzten Wochen. Der Grund: Die Teilzeitarbeit nimmt zu – auch bei Männern. Unter dem Strich ist das Arbeitsvolumen allerdings gestiegen. Denn im Gegensatz zu den Männern arbeiten die Frauen heute mehr als früher.
Fast vergessen geht in der aktuellen Debatte zudem die Tatsache, dass bei den Männern ein 100-Prozent-Pensum weiterhin Standard ist. Das gilt – paradoxerweise – erst recht für Väter.
Einer von ihnen ist Simone Bottan (39). Bevor er Vater wurde, hatte der Bioingenieur bereits ein Baby: sein Start-up. Die Jungfirma beanspruchte ihn von früh bis spät und darüber hinaus. Drei Jahre später, im Jahr 2018, kam dann sein erster Sohn auf die Welt. Seine Partnerin reduzierte ihr Pensum auf 80 Prozent. Bottan dagegen arbeitet weiterhin Vollzeit.
«Für mich war klar, dass ich auch mit Kindern 100 Prozent arbeiten werde», sagt er. Und dies nicht nur, weil in seiner Heimat Italien reduzierte Pensen unüblich sind, sondern auch, «weil es als Chef eines Start-ups meinen vollen Einsatz braucht». Mit seiner Firma tüftelt der ETH-Absolvent an einer Schutzhülle für Implantate. Ob das Start-up überlebe oder nicht, hänge von ihm ab, sagt Bottan. «Wenn es nicht vorwärtsgeht, scheitern wir.»
Hauptsache, viel tun und viel machen
Der junge Vater ist mit seinem 100-Prozent-Pensum in guter Gesellschaft. Insgesamt arbeiten rund 82Prozent aller Männer Vollzeit. Bei den Vätern mit Kindern unter zwölf Jahren sind es nochmals mehr. Dort sind es rund 87 Prozent, wie Zahlen des Bundesamts für Statistik zeigen (siehe Grafik). Interessanterweise arbeiten Väter also eher Vollzeit als jene Männer, die keine Kinder haben. Und dies, obwohl Väter in Umfragen regelmässig erklären, mehr Zeit mit der Familie verbringen zu wollen.
Wie geht das zusammen?
Mit dieser Frage setzt sich Markus Theunert (50) seit über zehn Jahren auseinander. Der Gründer von männer.ch, dem Dachverband Schweizer Männer- und Väterorganisationen, sagt: «Dass Männer keinen Zugang zu Teilzeitjobs haben, ist Ausrede und Tatsache zugleich.»
«Ausrede», weil es viele Männer in der Hand hätten, ihr Pensum zu reduzieren – dies aber gar nicht wollten. «Die Mehrheit der Männer definiert sich über ihren Job», sagt Theunert. «Wer viel arbeitet und viel Macht hat, steht im Männlichkeitsranking ganz weit oben.» Reduziert ein Mann sein Pensum, stellt er demnach seine Position infrage: in der Firma, unter den Arbeitskollegen, im Freundeskreis. Zumindest, wenn dort traditionelle Rollenbilder vorherrschen.
Nichts illustriert dies besser als die Wortmeldung eines Kursteilnehmers zum Thema Vereinbarkeit von Beruf und Familie. «Wenn ich 80 Prozent arbeite, gelte ich nur noch als halbe Portion», sagte ein Seminarteilnehmer zu Theunert.
Teilzeit schädigt Karriere
Ein Satz, den Lukas H.* (49) unterschreiben würde. Er hat drei Kinder, ist Kundenberater bei einer Privatbank und sagt: «Mit 80 Prozent würde man bei uns auf dem Abstellgleis landen.» Würde – denn Teilzeitjobs gibt es in seiner Branche ohnehin keine. «Wir arbeiten alle mehr als 100 Prozent», sagt H. Neben der Büroarbeit gilt es, abends und am Wochenende Klienten zu akquirieren. In seinem Business zählen Kundenkontakte. Je exklusiver, desto besser.
Tatsächlich hat die Unternehmenskultur einen starken Einfluss darauf, ob Väter ihr Pensum reduzieren. «Sind die direkten Vorgesetzten gegen Teilzeitarbeit, klappt es kaum», so Theunert.
Wie schwer Teilzeit und Karriere zu vereinbaren sind, hat Journalist Stefan M.* (46) erlebt. Der Familienvater arbeitete lange Zeit 80 Prozent. Sein Motto: «Wenn ich Kinder auf die Welt stelle, will ich auch für sie da sein.» Doch als er sich vor ein paar Jahren für eine Führungsposition bewarb, sah er sich vor die Wahl gestellt. Vollzeit oder gar nicht, so die Vorgabe seines Chefs. Also stockte Stefan M. auf. «Das fiel mir schwer. Aber ich wollte die Chance packen.»
Dass Teilzeitpensen Karrierekiller sind, ist erwiesen – und gilt für Männer wie Frauen. Doch: Wenn Männer Teilzeit arbeiten wollen, werden sie dafür stärker bestraft als Frauen. Das zeigt eine Untersuchung von Daniel Kopp (37), Arbeitsmarktexperte bei der Konjunkturforschungsstelle (KOF) der ETH.
Wer abweicht, wird bestraft
Für seine Studie hat Kopp analysiert, wie Firmen bei der Rekrutierung von neuen Mitarbeitern vorgehen. Dazu schaute er sich das Suchverhalten von HR-Verantwortlichen auf einem grossen Jobportal an. Das Resultat war eindeutig: Wer als Mann eine Teilzeitstelle sucht, reduziert seine Chancen auf eine Anstellung. Und zwar stärker als eine Frau.
Konkret: Sucht eine Frau eine 90-Prozent-Stelle, sinken ihre Chancen, von Arbeitgebern kontaktiert zu werden, um zwei Prozent. Bei einem Mann mit demselben Profil nimmt die Wahrscheinlichkeit für ein Stellenangebot hingegen um 17 Prozent ab.
Erstaunt ist Kopp ob dieser Ergebnisse nicht. «Aus Studien wissen wir: Wer von den sozialen Normen abweicht, wird häufig bestraft.» Das gelte für beide Geschlechter – auch für Frauen, die besonders «männlich», zum Beispiel fordernd, auftreten.
Doch es sind nicht einzig die traditionellen Rollenbilder, welche die Männer von Teilzeitarbeit abhalten.
Manche Väter, wie Jeremy Benjamin (35), gehen schlicht lieber ins Büro. «Es ist keine besondere Freude, den ganzen Tag mit den Kindern zu Hause zu sein», sagt der Datenschutzberater. Er schätze es sehr, morgens und abends mit den Kindern zu essen und das Wochenende als Familie zu verbringen. «Das ist sehr intensiv – und es reicht mir.»
Kaum Anreize für gemeinsame Kinderbetreuung
Hinzu kommen finanzielle Überlegungen. Natürlich könnten seine Frau und er mit weniger Geld überleben, sagt Benjamin. «Aber dann müssten wir unseren Lebensstandard senken.»
Bei manchen Familien spielt der finanzielle Aspekt gar die entscheidende Rolle. «Dass Männer im Schnitt mehr verdienen als Frauen, senkt den Anreiz für eine gleichberechtigte Aufteilung der Kinderbetreuung weiter», sagt Experte Theunert. Das Resultat: Bei Paaren mit Kindern unter drei Jahren steuert der Vater ganze 72 Prozent des Erwerbseinkommens bei.
Bei Start-up-Gründer Bottan und seiner Partnerin ist das nicht der Fall. Bottan sieht in ihrer beider Arbeitstätigkeit kein Problem. «Ich bin selber mit berufstätigen Eltern aufgewachsen und habe nicht das Gefühl, dass mir das geschadet hat», sagt er.
Dennoch: Als Vater hat er seine Arbeitszeit heruntergefahren. Abends holt er die Söhne aus der Kita ab, am Wochenende spielt er mit dem älteren Sohn Fussball. Denn: «Diese Zeit gehört jetzt meiner Familie.»
* Namen geändert