Wer erfahrene Mitarbeiter vernachlässigt, mache einen Fehler, warnt der Präsident des Arbeitgeberverbands. Der Verein Focus 50 Plus soll Abhilfe schaffen.
Hans-Peter Nehmer (56) erhielt während seiner Laufbahn immer wieder mal Anrufe von Headhuntern. Mal waren die Jobangebote spannender, mal weniger. Auch wenn der Zürcher gar nicht auf Jobsuche war: Die Tatsache, dass man ihm einen Job anbieten wollte, motivierte ihn.
«Die Anfragen waren eine Bestätigung von aussen, dass ich gute Arbeit leiste», sagt Nehmer, der seit elf Jahren als Kommunikationschef bei Allianz Suisse arbeitet.
Der 50. Geburtstag als Zäsur
Doch dann, kaum merklich, nahmen die Anrufe ab und blieben irgendwann ganz aus – kurz nachdem er seinen 50. Geburtstag gefeiert hatte. Wie sich zeigte, erging es nicht nur ihm so. Nehmer hörte sich im Kollegenkreis um und stellte fest: «Über die Branchen hinweg machten alle dieselbe Erfahrung.» Mit über 50 gehörte man offenbar nicht mehr zu den interessanten Kandidaten.
Der Kommunikationsexperte geriet ins Grübeln. Was bedeutete das für die kommenden 15 Jahre im Beruf? Drohte er auf einem Abstellgleis zu landen? «Für mich war das ein Weckruf», erzählt Nehmer. «Ich sagte mir, Hans-Peter, jetzt musst du etwas machen.»
Wie dem heute 56-Jährigen geht es vielen Angestellten. Sie stehen im Zenit ihrer Karriere und stellen plötzlich fest, dass sie kaum noch gefragt sind.
Fachkräftemangel droht
Eine Entwicklung, die Valentin Vogt (61) kritisch sieht. «Viele Unternehmen haben noch nicht begriffen, dass es eine ihrer grössten Herausforderungen sein wird, künftig genügend qualifiziertes Personal zu haben», sagt der Präsident des Arbeitgeberverbands.
Laut Zahlen des Bundesamts für Statistik ist ein Drittel der Erwerbstätigen über 50 Jahre alt. Da ein beträchtlicher Teil von ihnen demnächst in Pension gehen wird – und weniger Junge nachrücken –, droht der Schweiz ein Fachkräftemangel. Vogt: «Es ist im Interesse der Firmen, die Rahmenbedingungen für die über 50-jährigen Mitarbeitenden zu verbessern.»
Flexibles Pensionsalter
So müssten 58-Jährige ihr Pensum auf 80 Prozent reduzieren dürfen – und sich im Gegenzug bereit erklären, über das Pensionsalter hinaus tätig zu bleiben. «Das Modell, wonach man bis 65 Vollzeit arbeitet und danach gar nicht mehr, hat ausgedient», meint Vogt. Zielführender sei eine Bogenkarriere mit flexiblem Rentenalter und regelmässigen Weiterbildungen.
Angesichts des drohenden Fachkräftemangels setzt sich der Arbeitgeberverband schon länger dafür ein, das Potenzial der über 50-Jährigen besser zu nutzen. Er sammelt Beispiele von Unternehmen, die in diesem Punkt vorbildlich operieren, und versucht, mithilfe seines Netzwerks arbeitslose ältere Arbeitnehmende zu vermitteln.
«Wir haben vieles gemacht, aber jeweils sehr punktuell», sagt Vogt. «Deshalb kamen wir zum Schluss: Was es braucht, ist eine Organisation, die das Thema ganzheitlich angeht und die Wirtschaft konsistent mit einbezieht.»
Industrieunternehmen als Vorreiter
Gesagt, getan: In zwei Wochen findet der erste Anlass von Focus 50 Plus statt. Der im Jahr 2021 gegründete Verein soll Firmen dabei helfen, die Arbeitsmarktfähigkeit ihrer älteren Angestellten zu erhöhen (siehe Box). Womit auch klar wird: Im Fokus stehen in erster Linie die Firmen und deren Personalpolitik. Profitieren sollen davon aber auch die Mitarbeitenden. Dazu Vogt: «Die Flexibilisierung der Arbeitsmodelle eröffnet gerade älteren Arbeitnehmenden neue Möglichkeiten und gibt ihnen zusätzliche Freiheiten.»
Eines der Gründungsmitglieder von Focus 50 Plus ist das Industrieunternehmen Huber+Suhner. Die Firma hat schon länger erkannt, dass der demografische Wandel zu Problemen führen könnte. «Wir haben deshalb zwei Initiativen gestartet», sagt Personalchefin Patricia Stolz (52). «Das eine ist das Career-and-Family-Programm für die bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie; das andere ist das Programm 50 plus für ältere Mitarbeitende.»
Dank dieses Programms haben Mitarbeiter die Möglichkeit, vorübergehend Teilzeit zu arbeiten, um sich etwa um den kranken Vater zu kümmern. Eine vorzeitige Reduktion des Pensums ist ebenfalls möglich; ebenso das Arbeiten über das ordentlichen Pensionsalter hinaus. Zudem bezahlt die Firma allen 50-plus-Mitarbeitern einen Gesundheitscheck und führt mit ihnen regelmässig Gespräche darüber, wo sie sich in Zukunft sehen.
Menschen über 50 sollen für den Arbeitsmarkt attraktiv bleiben. Der Verein Focus 50 Plus will Unternehmen dabei unterstützen, dieses Vorhaben umzusetzen. Ein weiteres Ziel von Focus 50 Plus: mit besseren Rahmenbedingungen die Attraktivität von flexiblen Arbeitsmodellen erhöhen. Und ganz generell will der Verein den Austausch zwischen Wirtschaft, Wissenschaft und Politik fördern. Hinter dem Netzwerk stehen der Schweizerische Arbeitgeberverband sowie die Allianz, Helsana, Huber + Suhner, Novartis und UBS. Sie alle leisten die Anschubfinanzierung. Dereinst soll der Verein vollständig durch die Mitglieder finanziert werden.
Menschen über 50 sollen für den Arbeitsmarkt attraktiv bleiben. Der Verein Focus 50 Plus will Unternehmen dabei unterstützen, dieses Vorhaben umzusetzen. Ein weiteres Ziel von Focus 50 Plus: mit besseren Rahmenbedingungen die Attraktivität von flexiblen Arbeitsmodellen erhöhen. Und ganz generell will der Verein den Austausch zwischen Wirtschaft, Wissenschaft und Politik fördern. Hinter dem Netzwerk stehen der Schweizerische Arbeitgeberverband sowie die Allianz, Helsana, Huber + Suhner, Novartis und UBS. Sie alle leisten die Anschubfinanzierung. Dereinst soll der Verein vollständig durch die Mitglieder finanziert werden.
Hans-Peter Nehmer begrüsst die Gründung von Focus 50 Plus. «Ich finde es super, wenn die Wirtschaft das Thema auf die Agenda nimmt.» Es sei wichtig, dass die Mitarbeitenden im Arbeitsprozess fit bleiben können.
Selber beschloss Nehmer nach seinem «Weckruf», eine Weiterbildung zum Thema «Psychologie in der Arbeitswelt 4.0» in Angriff zu nehmen. Ein Entscheid, der ihm während der Corona-Pandemie zugutekam: Inspiriert durch sein Studium, stellte er während des ersten Lockdowns einen Podcast auf die Beine, in dem sich die Angestellten zu Wort melden konnten.
Da war etwa der Vater, der von den Schwierigkeiten im Homeoffice mit kleinen Kindern erzählte. Oder die langjährige Rezeptionistin, die in Pension ging und sich wegen des Lockdowns von niemandem persönlich verabschieden konnte. «Sie war den Tränen nahe, als sie davon erzählte», sagt Nehmer. Als Reaktion auf die Podcast-Folge hinterliessen zahlreiche Mitarbeiter persönliche, aufmunternde Kommentare – und ermöglichten der Rezeptionistin damit zumindest eine virtuelle Verabschiedung. Nehmer: «Das war auch für sie ein schöner Abschluss.»