Guerilla-Aktion von Frauen
Warum Tausende von Frauen bei einer fiktiven Firma anheuern

Auf der Plattform Linkedin hat seit kurzem das Unternehmen Unpaid Care Work einen Auftritt. Tausende – vorwiegend – Frauen arbeiten dort. Nur: Die Firma ist fake. Die Hintergründe zu einer Guerilla-Aktion mit gesellschaftlicher Strahlkraft.
Publiziert: 08.05.2024 um 12:25 Uhr
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Aktualisiert: 08.05.2024 um 20:48 Uhr
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Was vor und nach der Erwerbsarbeit alles an unbezahlter Sorgearbeit geleistet wird und welche Skills dabei erlernt werden, bleibt im Lebenslauf unsichtbar.
Foto: Getty Images
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Karen SchärerTeamlead Gesellschaft

Auf der Networking-Plattform Linkedin gehts um Erwerbsarbeit, um berufliche Erfolge. Nur selten lassen die Mitglieder durchblicken, dass es neben ihrem professionellen Ich auch noch ein privates gibt – mit Hochs und Tiefs. Auch das Thema Elternschaft gehörte da bis jetzt nicht hin: Auf dem persönlichen Profil reiht sich ein Arbeitgeber an den anderen – Sorgearbeit bleibt meist unsichtbar.

Seit Ende April taucht aber in immer mehr deutschsprachigen Profilen ein weiterer langjähriger «Arbeitgeber» auf: Die Unternehmensseite heisst Unpaid Care Work, übersetzt: unbezahlte Sorgearbeit. Die fiktive Firma hat unzählige CEOs und COOs: Denn jede Person, die Unpaid Care Work zum eigenen Profil hinzufügt, vergibt sich selbst einen Jobtitel. Auch viele Schweizerinnen machen mit.

Diese Arbeit gehört auch in den Lebenslauf

Die Idee: unbezahlte Fürsorge- und Pflegeverantwortung vom Baby bis zum Sterbenden im Lebenslauf sichtbar zu machen. Zu zeigen, dass nicht nur bezahlte Arbeit Arbeit ist. Hinter der Initiative steckt Franziska Büschelberger (49) aus Dresden (D). Sie arbeitet als technische Assistenz im Forschungsbereich einer Hochschule und bietet Unternehmen Teamanalysen an. Zudem hat sie laut ihrem Profil bei Unpaid Care Work «die alleinige Sorge für zwei Kinder», Arbeitserfahrung: 18 Jahre und 7 Monate.

In einem Post schreibt Büschelberger: «Es geht darum, dass Menschen, die im verborgenen Grosses leisten, keine Scham mehr im Berufsleben empfinden müssen oder schlechter gestellt werden.» Und sie hebt hervor: Wer Sorgearbeit leistet, erlangt dabei Fähigkeiten, die den Unternehmen zugutekommen.

Das ist aber noch nicht alles: Die Care-Ökonomie ist der grösste Wirtschaftssektor. Dies schreibt die Fachhochschule Graubünden in einem Artikel auf ihrer Webseite. «Trotzdem ignoriert unser Wirtschaftssystem die Rolle der Hausarbeit und Familie, der Sorgearbeit – oder wird diese sogar schlicht als gegeben vorausgesetzt?»

Laut Bundesamt für Statistik entspricht die gesamte im Jahr 2020 in der Schweiz geleistete unbezahlte Arbeit einem Geldwert von 434 Milliarden Franken. Die Bevölkerung arbeitete 9,8 Milliarden Stunden ohne Lohn – im Vergleich zu 7,6 Milliarden Stunden bezahlter Arbeit.

Eine Welle losgetreten

Die Initiative entspricht offenbar einem Bedürfnis: Schon über 10'000 «Beschäftigte» weist das fiktive Unternehmen aus; das heisst, so viele Menschen haben die Unternehmensseite zu ihrem eigenen Linkedin-Profil hinzugefügt. Darunter Unternehmerin Andrea Jansen (44) vom Schweizer Elternportal «Mal ehrlich».

Die Mutter von drei Kindern sagt: «Wert und Geld werden leider immer noch als Synonym verwendet, dabei wissen wir doch alle, dass Zeit eigentlich das wertvollste Gut ist. Dort, wo sie eingesetzt wird, sollte auch die Wertschätzung folgen.» Hinzu kommt: «Indem wir Care Work mit bezahlter Arbeit gleichstellen, wird auch gezeigt, welche Skills hier erlernt worden sind!» Sie selbst sei sehr stolz auf ihre Leistung in dieser «Firma», sagt Jansen: «Es ist sicher die herausforderndste Aufgabe, die ich je hatte.»

Etwas gespalten reagiert Sarah Meier (50) auf die Initiative. Sie ist die Gründerin von Parents@Work, einer Organisation, die familienfreundliche Unternehmenskultur fördert. Die zweifache Mutter sagt: «Es ist wichtig, Bewusstsein zu schaffen für die unbezahlte Sorgearbeit, die mehrheitlich Frauen leisten.» Doch: «Nun fügen deutlich mehr Frauen als Männer Unpaid Care Work zu ihren Linkedin-Profilen hinzu.» Das hebe die Unterschiede noch hervor, befürchtet sie. «Stattdessen sollten wir lieber die unbezahlte Betreuungsarbeit besser aufteilen.» Sie selbst, sagt Meier, würde das fiktive Unternehmen wohl nur zu ihrem Profil hinzufügen, wenn ihr Mann es auch tun würde.

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