Etwa 30 Hände im Saal gingen hoch. Ich stand auf dem Podium, sah die Frauen an und dachte: wie traurig.
All diese Frauen hatten als stillende Mütter bei der Arbeit auf der Toilette Milch für ihr Baby abgepumpt. Wie ich. Weil es keinen geeigneten Raum dafür gab am Arbeitsplatz. Weil wir vom Arbeitgeber keine Informationen zu unseren Rechten und Möglichkeiten bekommen hatten. Und weil wir unsere Chefinnen, oder häufiger: unsere Chefs nicht auf dieses intime Thema ansprechen wollten.
Kürzlich stand ich als Vertreterin der Ringier-Initiative EqualVoice auf dieser Bühne vor lauter Menschen, die sich an ihren Arbeitsorten für eine familienfreundliche Unternehmenskultur einsetzen. An der Tagung redeten Mütter und Väter, die meisten von ihnen in Kaderpositionen, offen über Selbstzweifel, Momente des Scheiterns, Tränen und Erschöpfung.
Im Nachgang zur Tagung von Parents@Work zeigten sich viele Teilnehmende überrascht und dankbar für die im Business-Kontext ungewohnte Offenheit, für den geschützten Raum, den die Konferenz geboten hatte.
Am Limit
Eine ähnliche Resonanz bekam kürzlich Julia Panknin, als sie sich auf dem Businessnetzwerk LinkedIn als «Burnout-Survivor» outete. Sie hatte als Strategiechefin bei «20 Minuten» gearbeitet und danach gestrebt, ihrem Arbeitgeber und dem Team zu beweisen, dass die Geburt ihrer Tochter nichts an ihrer Leistungsfähigkeit ändern würde. Ihr Körper reagierte mit Schlafstörungen, Panikattacken und chronischen Schmerzen auf die hohe Belastung, bis es zum totalen Zusammenbruch kam.
Auf LinkedIn, wo üblicherweise Menschen sich selbst für ihre beruflichen Erfolge feiern, fand Panknins Beitrag eine riesige Beachtung. Ihr Aufruf, ähnliche Erfahrungen zu teilen, öffnete eine Schleuse. Inzwischen hat sie die geschlossene LinkedIn-Gruppe WorkingMoms eröffnet, der schon fast 400 erwerbstätige Mütter beigetreten sind, um eigene Geschichten über Depressionen und Burnout zu teilen und einander Unterstützung zu bieten.
Was sich während der Tagung von Parents@Work zeigte: Obwohl Eltern beileibe keine Nischengruppe unter den Angestellten sind, gibt es uns im Arbeitskontext kaum. Denn nach wie vor streben wir Eltern möglichst danach, einzig als «Professionals» gesehen zu werden. Elternschaft – dieser immens fordernde und beglückende Lebensbereich – stellt bei der Arbeit ein mögliches Hindernis dar für die totale Hingabe für den Arbeitgeber. Dies gilt insbesondere für Mütter, deren Teilhabe am Arbeitsmarkt zwar verstärkt gefordert, aber auch kritisch beäugt wird, unabhängig davon, ob sie in Teilzeit arbeiten oder gezielt Karriereinteressen verfolgen.
Gefährliche Erwartungshaltung
Denn eine Mutter, die Teilzeit arbeitet, muss beständig gegen das latente Vorurteil ankämpfen, ihr Hauptfokus liege bei der Familie, die Arbeit sei für sie nur Abwechslung oder Hobby. Die Folge davon: Sie kniet sich noch stärker rein, leistet proportional mehr, bevor sie abgehetzt zum Kind eilt, womit ihre nächste Arbeitsschicht beginnt.
Und eine Mutter, die aus freien Stücken 80 Prozent oder mehr arbeitet, erntet hochgezogene Augenbrauen und muss damit rechnen, dass nicht wenige sich fragen, warum sie überhaupt Mutter sei, wenn sie doch so viel Zeit weg von den Kindern verbringt. Die Folge: Sie macht einen Top-Job und setzt sich im Privaten noch stärker unter Druck, allen zu beweisen, was für eine tolle Mutter sie ist, selbst gemachte Cupcakes für die ganze Klasse am Geburtstag eines Kindes inklusive.
Klar ist, unser System in der Schweiz verlangt nach möglichst ununterbrochener Arbeitstätigkeit in nicht zu tiefem Pensum. Nur so können Erwerbstätige ihre erste, zweite und dritte Säule für die Altersvorsorge füllen.
Längst wissen wir auch: Altersarmut ist weiblich. Der grosse unbezahlte Einsatz für Kinder, Angehörige und Haushalt, der nach wie vor mehrheitlich von Frauen geleistet wird, rächt sich ebenso wie unter anderem kaum verhandelte Löhne und tiefe Erwerbspensen, mit denen sich die zweite Vorsorge-Säule nicht füllen lässt.
Was für finanzielle Folgen hat die Entscheidung, das Erwerbspensum zu reduzieren? Ist Heiraten steuerlich ratsam oder nicht? Die Website cashorcrash.ch präsentiert die Rechnung für bedeutende Lebensentscheide, wissenschaftlich fundiert und personalisierbar. Hinter dem Projekt steht Alliance F, der Dachverband der Frauenorganisationen, gemeinsam mit dem Büro Bass. Finanziert wird Cash or Crash mit Finanzhilfen des Eidgenössischen Büros für die Gleichstellung von Frau und Mann EBG.
Was für finanzielle Folgen hat die Entscheidung, das Erwerbspensum zu reduzieren? Ist Heiraten steuerlich ratsam oder nicht? Die Website cashorcrash.ch präsentiert die Rechnung für bedeutende Lebensentscheide, wissenschaftlich fundiert und personalisierbar. Hinter dem Projekt steht Alliance F, der Dachverband der Frauenorganisationen, gemeinsam mit dem Büro Bass. Finanziert wird Cash or Crash mit Finanzhilfen des Eidgenössischen Büros für die Gleichstellung von Frau und Mann EBG.
Man könnte denken, ein System sei so ausgestaltet, dass die Rahmenbedingungen für die Arbeitnehmenden nicht gesundheitsgefährdend sind. Dies gelingt heute nicht, wenn wir uns nochmals die Emotionalität und die Tränen auf der Parents@Work-Konferenz vor Augen führen, die Resonanz auf Julia Panknins öffentliches Bekenntnis ihres Burnouts – und die nicht an die grosse Glocke gehängten zahllosen Geschichten von Müttern, die am Rande der Erschöpfung sind oder Klinikaufenthalte hinter sich haben.
Stressfaktoren gibt es im Alltag zwischen Erwerbsarbeit und Familie wahrlich viele, unabhängig vom Erwerbspensum der Eltern und unabhängig vom Alter von Kindern. Einen Vorgeschmack bekommen Mütter ganz am Anfang, nach der Rückkehr an den Arbeitsplatz, wenn sie sich schon in einem Spannungsfeld wiederfinden: Die gute Mutter ernährt ihr Kind – so will es die WHO – sechs Monate ausschliesslich mit Muttermilch. Frauen sollen aber – auch das will unser Schweizer System – nach 14 Wochen an den Arbeitsplatz zurückkehren. Und so nehmen landauf, landab stillende Mütter Brustpumpen mit zur Arbeit. Und schliessen sich auf der Toilette ein.