Professoren und Dozenten an Schweizer Hochschulen sind äusserst motiviert, sich für Gleichstellung einzusetzen. Doch die Kolleginnen der befragten Männer – Professorinnen und Dozentinnen – schätzen deren Engagement ganz anders ein. Deutlich schlechter.
So geben 77 Prozent der befragten Männer an, dass sie auf eine faire und transparente Regelung der Co-Autorenschaft achten. Doch nur für 12 Prozent der Frauen ist dies auch erkennbar. Nach Selbsteinschätzung der Männer achten 76 Prozent auf gleich lange Redebeiträge, dies ist aber nur für 18 Prozent ihrer Kolleginnen im akademischen Betrieb erkennbar. Ein drittes und letztes Beispiel aus vielen: Während 51 Prozent der Männer angeben, sich für zentrale Wissenschaftlerinnen im eigenen Fachgebiet zu interessieren, erreichen sie in der Sicht der Frauen nur einen Wert von 10 Prozent.
Alle Hochschulen beteiligt
Autorin der Studie mit 1077 Teilnehmenden von allen Schweizer Hochschulen ist Julia Nentwich (51), Professorin für Sozialpsychologie an der Universität St. Gallen. Mit ihrem Team hat sie die Studie in ähnlicher Art in den vergangenen vier Jahren in verschiedenen Unternehmungen durchgeführt.
Ob Uni oder Privatwirtschaft: Die Resultate ähneln sich. Stets zeigen sich die männlichen Führungskräfte höchst interessiert an der Gleichstellungsthematik. Doch die weiblichen Führungskräfte schätzen vieles skeptischer ein.
Die Studie gibt allerdings keine Antwort auf die Frage, ob die Männer sich zu positiv einschätzen. Oder ob die Frauen existente Bemühungen unterschätzen. Denn die Studie misst nur, was wahrgenommen wird.
Eine Erklärung liefert Studienautorin Nentwich auf telefonische Nachfrage doch: Die Männer erinnern sich an die Momente, in denen sie für die Gleichstellung aktiv waren. Die Frauen haben eine andere Wirklichkeit; sie haben im Vergleich eine viel grössere Fülle an Erlebnissen, Frustrationen, weil sie sich ständig behaupten müssen an der Hochschule oder nicht beachtet werden in ihrem Forschungsgebiet. Dass es zwischendurch auch Lichtblicke gibt – Kollegen, die sich für sie einsetzen –, wiegt die schwierigere Situation der Frauen nicht auf.
Stereotyp: Fachkompetenz ist männlich
Warum aber ist die Situation für Frauen überhaupt schwieriger? Der erste Grund liegt in Rollenbildern. «Die Wahrnehmung ist immer noch stereotyp: Der Wissenschaftler ist männlich», sagt Julia Nentwich. Von Frauen erwarte man, dass sie nett seien, nicht fachkompetent. «Ihre Leistung wird daher anders eingeschätzt.»
Zweitens, und dies zeigt sich auch in der Studie, haben Männer im Privatleben eine einfachere Situation. Häufig haben hochrangige Akademiker eine Person an ihrer Seite, die in Teilzeit arbeitet und ihnen den Rücken frei hält. Und wenn der Ruf an eine Universität im Ausland kommt, folgt sie dem Mann an seine neue Wirkungsstätte.
Anders die Kolleginnen auf gleicher akademischer Stufe: Sie leben meist in einer Partnerschaft, in der beide Vollzeit arbeiten, die Kinderbetreuungsaufgaben teilen, beide Karriere machen wollen. Für die Frauen ist es somit schwieriger, global mobil zu sein.
Drittens ist, wie oben schon angetönt, der Universitätsalltag für Frauen ungleich mühsamer – und dies, obwohl Frauen inzwischen 30 Prozent der Professuren und Dozenturen besetzen: Männer kommunizierten häufig unter Männern, Frauen würden weniger in die Entscheidungen einbezogen, sagt Nentwich. «Frauen haben im Hochschulkontext häufig das Gefühl, nicht existent zu sein.»
Ohne Männer geht es nicht
Nachdem bisherige Bemühungen zeigen, dass eine reine Frauenförderung nicht ausreicht, um die Unterrepräsentation von Frauen in Führungsetagen zu beheben, sind männliche Führungskräfte in den Fokus gerückt. Sie gelten neu als zentrale Akteure für die Gestaltung von Gleichstellung: Ohne Männer geht es nicht.
Die Einschätzungen von Männern und Frauen zur Gleichstellungsthematik sind daher von Bedeutung, Studien wie diese ein Augenöffner. «Unsere Studie soll primär einen Dialog ermöglichen», sagt Julia Nentwich. An der Universität St. Gallen hätten bereits Gesprächsrunden stattgefunden. «Es gab bei Männern wie Frauen echt erkenntnisvolle Wow-Momente.»