Liebe Leserinnen, liebe Leser, morgen feiern wir den Internationalen Tag der Frau. Auch an den Schweizer Hochschulen ist das ein Grund, sich über das Erreichte zu freuen – aber auch um selbstkritisch anzumerken: Die Bilanz ist noch lange nicht so gut, wie sie sein sollte. Doch blättern wir zuerst ein bisschen zurück.
Als die ETH Zürich 1855 eröffnet wurde, waren Frauen ausdrücklich zum Studium zugelassen. Trotzdem dauerte es 16 Jahre, bis die erste Studentin ihr Studium aufnahm. Es war Nadezda Smeckaja – eine Russin. Das war kein Zufall: Russinnen konnten in ihrer Heimat nicht studieren, und die ETH, aber auch die Unis Bern, Zürich und Genf liessen Frauen schon früh zum Studium zu. Das bescherte der Schweiz einen Boom ausländischer Studentinnen: 1906 war bereits ein Viertel der Studierenden weiblich, 90 Prozent von ihnen stammten aus dem Ausland.
Dass so wenig Schweizerinnen studierten, lag vor allem daran, dass die ersten Schweizer Mädchengymnasien erst Ende des 19. Jahrhunderts eröffnet wurden. Und schafften es die jungen Frauen dann tatsächlich an die Unis, warteten weitere Hürden. Juristinnen durften lange nicht als Anwältinnen arbeiten, Ärztinnen erhielten keine Assistenzstellen, und Theologinnen durften keine Kanzel besteigen. Aber es haperte auch bei ganz alltäglichen Dingen; so gab es beispielsweise an der ETH bis 1918 keine Damentoiletten!
Die Zahl der Ausländerinnen nahm nach dem Ersten Weltkrieg drastisch ab, jene der Schweizerinnen stieg nur langsam an. Erst 1973 war erneut ein Viertel der Studierenden weiblich (diesmal zu 70 Prozent Schweizerinnen). Heute ist das Geschlechterverhältnis bei den Studierenden ungefähr 50:50, wobei die ETH Zürich und die EPFL mit nur einem Drittel Frauen hinterherhinken. Noch schlechter sieht es bei den ETH- und EPFL-Professorinnen aus. Hier liegt der Frauenanteil bei unter 20 Prozent.
Aber auch diese Zahlen verbessern sich: Letztes Jahr wurden 40 Prozent der neuen Professuren an den beiden ETH mit Frauen besetzt – für technische Hochschulen eine starke Leistung. Auch die Rahmenbedingungen haben sich verbessert. Das verdanken wir unter anderem dem unermüdlichen Einsatz von Frauen wie Katharina von Salis. Die Professorin für Geologie war die treibende Kraft hinter Gründung und Aufbau der ETH-Stelle für Chancengleichheit. Diese treibt seit 1991 Anliegen wie bessere Kinderbetreuung, mehr Teilzeitstellen oder Unterstützung beim Wiedereinstieg nach der Babypause voran.
Frauenförderung ist wichtig. Einerseits, weil gemischte Teams kreativer und produktiver sind. Andererseits, weil wir es uns nicht leisten können, einige unserer besten Köpfe – Männer wie Frauen – zu verlieren. Wer keine modernen Arbeitsplätze und keine inklusive, respektvolle Arbeitskultur anbietet, hat heute im Wettbewerb um Talente kaum Chancen. Das gilt an Hochschulen genauso wie in der Wirtschaft.
Punkto Gleichberechtigung ist an den Schweizer Hochschulen in den letzten Jahren viel passiert. Es bleibt aber auch noch vieles zu tun!