Langsam, aber sicher erhöht sich der Anteil der Unternehmerinnen in der Schweiz. Innert 30 Jahren, von 1991 bis 2021, ist der Anteil weiblicher Unternehmer von 28,2 auf 36,7 Prozent gestiegen.
Die Ergebnisse des Global Entrepreneurship Monitor (GEM) 2021 bis 2022 zeigen dennoch, dass Schweizerinnen den Komfort, das ihnen ein Angestelltenverhältnis bietet, nicht so leicht verlassen. In der Schweiz, wo die Einkommen zu den höchsten der Welt gehören und Arbeitsplätze im Überfluss vorhanden sind, gibt es gerade für Frauen offenbar wenige Anreize, eine eigene Firma zu gründen. Laut dem GEM-Bericht sind nur 37,9 Prozent der Schweizerinnen der Meinung, dass Unternehmertum eine gute Karriereoption darstellt. Der weltweite Durchschnitt liegt bei 70 Prozent.
Es bieten sich Chancen
Immerhin: Die Vollbeschäftigung auf dem Arbeitsmarkt hält Frauen weniger als Männer davon ab, sich selbstständig zu machen. So berichtet die HSW Freiburg im Jahr 2021 von einem doppelt so hohen Frauenanteil unter Unternehmensleitern im Alter von 18 bis 35 Jahren.
Diese Zahl überrascht Line Pillet, Präsidentin der Vereinigung KMU-Frauen Westschweiz, nicht: «Es gibt deutliche Fortschritte. Die Begleitung und Förderung von Mädchen Richtung Unternehmertum, insbesondere über die Programme der Hochschulen und der Eidgenössischen Technischen Hochschulen, hat in den vergangenen Jahren stark zugenommen.»
Laut dem Leiter des GEM in der Schweiz, Rico Baldegger, fliessen die meisten Investitionen derzeit an Unternehmen im Technologiesektor, der noch immer sehr männerdominiert ist. «Frauen könnten aber von der Begeisterung für neue Trendthemen in den Bereichen Nachhaltigkeit, Ernährung oder Gesundheit profitieren. Line Pillet, die auch Leiterin des Instituts für Unternehmertum und Management an der Fachhochschule Westschweiz (HES-SO) in Siders VS ist, teilt diese Ansicht. «Die Bevölkerung achtet heute deutlich stärker auf Rückverfolgbarkeit und Nachhaltigkeit von Produkten. In diesem Bereich spielen Frauen eine wichtige Rolle, und sie werden sich dessen zunehmend bewusst.» Laut einer Studie des Unternehmens CRIF aus dem Jahr 2022 werden die im Sozialwesen tätigen Unternehmen mehrheitlich (51,8 Prozent) von Frauen geleitet.
Vereinbarkeit von Job und Familie im Zentrum
Eine höhere Quote von Gründer-Frauen oder Unternehmensleiterinnen könnte jedoch noch mehr Auswirkungen haben. Sie könnten die Arbeitswelt schneller modernisieren, auch zugunsten der Männer. «Frauen drängen auf mehr Flexibilität in den Arbeitsstrukturen, insbesondere in Bezug auf die Gestaltung der Arbeitszeiten und die Homeoffice-Möglichkeiten», weiss Pillet. Davon profitieren inzwischen auch Männer.
Laurence Halifi hilft seit 2015 mit ihrem Programm «Graines d'entrepreneurs» dabei, Sekundarschüler an das Unternehmertum heranzuführen. Sie stellt fest, dass der Anteil der Frauen besonders bei den Ein-Personen-Unternehmen hoch ist. «Weil dieses Geschäftsmodell die Vereinbarkeit von Privat- und Berufsleben ermöglicht.»
Élodie Raneri hat sich vor 15 Jahren selbstständig gemacht. Zunächst mit dem Verkauf von Schuhen, dann mit Innendekoration und einem recht originellen Konzept, bei dem sie ihr Haus in einen Showroom für ihre Kundschaft verwandelte. «Von zu Hause aus arbeiten war für mich die beste Möglichkeit, Berufs- und Familienleben miteinander zu verbinden. Ich sah angesichts der Einschränkungen keine andere Möglichkeit, beides unter einen Hut zu bringen.» Die Neuenburgerin ist Mutter von drei Kindern und erzählt, dass sie viel Unterstützung bei der Gründung des Unternehmens erhielt. Allerdings sei klar, dass «Frauen immer noch mehr Verantwortung für das Management des Familienlebens tragen, selbst wenn sie sich in einer unabhängigen beruflichen Tätigkeit engagieren».
Line Pillet machte sich 2013 selbstständig, nachdem ihre jüngsten Kinder auf die Welt gekommen waren. «Es war für mich eine Möglichkeit, die Kontrolle über meinen Tagesablauf zurückzugewinnen.» Als Expertin für Coaching und Ausbildung unterscheidet sie zwischen Selbständigkeit und Unternehmertum: «Die Selbständigkeit ist ein gutes Mittel, um seine Arbeitszeiten besser zu kontrollieren und Berufs- und Familienleben miteinander zu verbinden. Sobald man aber anfängt, Mitarbeiter einzustellen und für den Fortbestand eines Unternehmens verantwortlich ist, sollte man sich Vollzeit engagieren.»
Jungen Mädchen die Möglichkeiten aufzeigen
Trotz der Zunahme der Anzahl Unternehmerinnen hält der GEM fest, dass Frauen noch allzu oft weniger Vertrauen als Männer in ihre Fähigkeit haben, ein Unternehmen zu gründen und zu leiten. Nur 38,9 Prozent der Frauen trauten sich dies zu, gegenüber 59,9 Prozent der Männer. Eine beträchtliche Kluft.
Laut Laurence Halifi sollten Mädchen im Rahmen ihrer schulischen Bildung schon in jungen Jahren mehr ans Unternehmertum herangeführt werden: «Es ist wichtig, den Mädchen zu zeigen, dass Unternehmensgründung und -führung auch für sie gedacht ist, und dass auch sie die Fähigkeiten dazu besitzen.»
Auch die Eltern müssten mitmachen. Indem sie ihre Töchter aktiv fördern und sie insbesondere in wirtschaftliche und finanzielle Diskussionen einbeziehen. Und indem sie sich auch die Wahl der ausserschulischen Aktivitäten, zu denen sie die Töchter anmelden, überdenken. «Ich habe nichts gegen Tanzen und Reiten, aber Mädchen gehören auch in die Robotik-Workshops der ETH», schliesst Halifi.