Herr Bärfuss, Ihre Fassung des Einsiedler Welttheaters hat bald Premiere. Welches Gefühl steht im Vordergrund?
Lukas Bärfuss: Wir sind seit acht Jahren in Einsiedeln an der Arbeit. Das ist eine lange Zeit. Wir sind älter geworden. Jetzt sind die Proben in vollem Gang. Es ist eine unbeschreibliche Freude.
Was macht am meisten Freude?
Der Fanatismus des Spielvolkes ist unvergleichlich. Auf dem ersten Durchlauf habe ich geweint. Sie spielen mit Hingabe und Präzision. Einzigartig!
Was war die grösste Herausforderung dieser Inszenierung?
Covid war brutal: Mitten in den Proben der Totalstopp 2020. Wir wussten nicht, ob und wie es weitergeht. Und im Januar haben wir mit dem Tod von Bruno Amstad unseren Komponisten verloren.
Hatte Covid einen Einfluss auf den Text, haben Sie ihn umgeschrieben?
Die ganze künstlerische Leitung hat die Zeit genutzt und gearbeitet. Der Kern des Stückes blieb. Wenn heute von Körper, Krankheit und Staat die Rede ist, klingt das nach der Pandemie anders. Und auch zum Krieg haben wir nach dem 24. Februar 2022 ein anderes Verhältnis.
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Machen die Krisen Ihren Text dringlicher?
Ja, schwierige Zeiten sind gute Zeiten fürs Theater. Wir brauchen die Kunst existenziell, um Dinge zu sehen, zu verstehen und zu teilen.
Wie begann Ihre Zusammenarbeit mit Einsiedeln?
Meine Eingabe vor acht Jahren beinhaltete einen Katalog, weshalb man das Welttheater nicht mehr aufführen kann.
Und Sie haben den Auftrag trotzdem bekommen?
Das Trotzdem ist künstlerisch reich. Im Trotzdem liegt der Trotz. Und auch die Herausforderung: Versuchen wir das! Und heute darf ich mit 200 Menschen über einzelne Silben sprechen.
Sie haben einen sehr speziellen Text geschrieben: Die Schauspielerinnen und Schauspieler sagen häufig nur ein, zwei, drei Worte.
Ja, das Spiel geht hin und her. Wenn auf diesem Klosterplatz nichts geschieht, langweilt man sich nach wenigen Sekunden. Also war die Hauptfrage: Wie hält man diesen riesigen Platz in Bewegung?
Sind diese schnellen Schnitte ein Tribut an die Netflix-Jugend?
Nicht nur an die junge Generation. Wir haben uns alle entwickelt. Geschichten erzählt man anders als vor zehn Jahren. Gleichzeitig waren kurze Repliken schon im antiken Theater beliebt.
Die Uraufführung von Calderóns Text liegt mindestens 383 Jahre zurück. Worin liegt das Zeitgemässe des Stücks?
In den existenziellen Fragen: Welche Rolle ist deine Rolle? Wie willst du leben? Was ist ein gutes Leben? Was bist du bereit, zu opfern? Wofür lohnt es sich, zu sterben?
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Aber Calderóns Stück ist ein religiöses Mysterienspiel, und die Religion verliert in der heutigen Gesellschaft immer mehr an Bedeutung.
Religion verliert nicht an Bedeutung. Im Gegenteil: Sie ist aktueller denn je.
Allerdings gibt es eine grosse Zahl an Kirchenaustritten.
Die Religion löst sich von den grossen Kirchen. Die Menschen sind die Korruption und die Verbrechen der katholischen und reformierten Kirche leid. Und gerade heute wäre Gemeinschaft wichtig.
Lukas Bärfuss, «Einsiedler Welttheater – nach dem Schauspiel von Don Pedro Calderón de la Barca», Rowohlt