Auf einen Blick
- Dankbarkeit verbessert psychische Gesundheit und verlängert das Leben
- Dankbarkeitsübungen können in den Alltag eingebaut werden und wirken positiv
- Mit Übung fällt es immer leichter, Gutes im eigenen Leben zu erkennen
Die Krankenkassenprämie ist schon wieder gestiegen, aber der Lohn nicht. In den USA regiert wieder Trump, in Deutschland fällt die Regierung auseinander, und die Demokratie scheint in Gefahr. Die Krise im Nahen Osten, Flüchtlingsströme, die Hungerkatastrophe im Sudan – und weltweit könnten in naher Zukunft eine Million Tier- und Pflanzenarten aussterben. Eine Katastrophe für unser Ökosystem.
Die Welt scheint zu wanken, und viele von uns mit ihr. Wer auf das vergangene Jahr zurückblickt, kann sich leicht im Negativen verlieren. Dabei geht oft vergessen, wie viel Gutes es trotz allem im eigenen Leben gibt. Oft sind es vermeintliche Selbstverständlichkeiten wie die warme Dusche am Morgen, eine freundliche Begegnung im Treppenhaus oder eine durchgeschlafene Nacht – trotz Kleinkindern.
Dankbarkeit ist gesund
Wer seinen Fokus mehr auf die positiven Kleinigkeiten des Alltags richtet, tut sich selbst etwas Gutes. Der Schlüssel dazu ist ein kleines Wort, das mit der richtigen Anwendung eine grosse Wirkung hat: Danke!
«Dankbarkeit hat nachweislich eine positive Wirkung auf die psychische Gesundheit», sagt Psychologin Birgit Kleim (49). Die Professorin forscht an der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich zu stressabhängigen Erkrankungen.
Dankbare Menschen können besser mit Stress umgehen, sind glücklicher, weniger häufig depressiv, nehmen seltener Drogen, schlafen besser und verfügen über mehr positive Charaktereigenschaften. Studien zeigen, dass sich Wohlbefinden, Depressionen und sogar die körperliche Gesundheit signifikant verbessern können, wenn Menschen sich über einige Wochen auf das Gute in ihrem Leben konzentrieren und dafür Dankbarkeit ausdrücken.
«Die gute Nachricht ist: Dankbarkeit kann man trainieren, genau wie Sport», sagt Psychologie-Professorin Kleim. Dabei geht es nicht darum, mit einer rosa Brille durch den Alltag zu gehen, sondern um neue Sichtweisen. Natürlich widerfährt jedem von uns im Leben Unangenehmes. Das können Kleinigkeiten sein, wie ein verpasstes Tram oder ein misslungenes Date, bis hin zu einschneidenden Situationen wie eine Kündigung, Trennung oder Krankheit. Kleim sagt: «Negative Gefühle soll man keinesfalls ignorieren und sich, wenn nötig, professionelle Unterstützung holen.»
Wirkung mit wenig Aufwand
Es geht um die Fähigkeit, Geschehnisse positiv umzubewerten. Es lohnt sich, das präventiv zu üben – es unterstützt in den kleinen Widrigkeiten des Alltags genauso wie bei grösseren Herausforderungen. Dankbarkeitsübungen kann man in den Alltag einbauen.
Nicht die Länge macht es aus, sondern die Regelmässigkeit. Kleim: «Es gibt diverse Studien zu Mikro-Übungen. Schon fünf Minuten Selbstzuwendung täglich haben einen Impact. Menschen werden dadurch positiver, gehen aktiver auf andere zu und fühlen sich dadurch weniger einsam und zufriedener.»
Positive Wechselwirkung
Dankbarkeit wirkt nicht nur in eine Richtung, sondern tut beiden Seiten gut. Die meisten Menschen unterschätzen jedoch die positive Macht eines kleinen «Danke» – und zwar systematisch. Das haben die amerikanischen Forscher Amit Kumar und Nicholas Epley in einer Studie nachgewiesen. Wer Dankbarkeit ausdrückt, fühlt sich selbst besser.
Zugleich gehen viele davon aus, dass sie mit ihrer Wertschätzung beim anderen Peinlichkeit auslösen, statt positive Gefühle. Eine Fehleinschätzung, die dazu führt, dass wir Dankbarkeit seltener zeigen, als wir es tatsächlich möchten.
Dabei fühlen wir uns mit Menschen, die uns wohlwollend sind, besonders verbunden – was sich wiederum auf unsere Lebensqualität auswirkt. Dankbarkeit hat also eine positive Wechselwirkung, mit der wir uns gegenseitig guttun.
Boom auf Social Media
Das hat längst nicht nur die Wissenschaft entdeckt. Dankbarkeit boomt auch auf Social Media: Allein unter dem Hashtag #grateful (dankbar) findet man auf Instagram 62,5 Millionen Einträge. Unzählige Influencer posten Videos mit Dankbarkeitsübungen. Dazu kommen Apps fürs Smartphone – oder ganz klassisch das Tagebuch.
Vielen ist es wichtig, ihre Dankbarkeitsübungen fernab von elektronischen Medien zu praktizieren und dafür ihre Handschrift zu benutzen. So auch die Künstlerin und PR-Beraterin Claudia Marson (59). Sie schreibt schon ihr Leben lang Tagebücher, konsequent ist sie mit ihren Einträgen, seit sie vor ein paar Jahren ein 5-Jahres-Notizbuch geschenkt bekommen hat. Das Besondere daran: Auf einer Seite ist jeweils der gleiche Tag über fünf Jahre aufgeführt. «Ich sehe also, was ich heute an diesem Tag in den Jahren zuvor gemacht habe. Der Blick ins Buch schenkt mir oft ein wohliges Lächeln.»
Es sei gut, sich zu erinnern. Was ist geblieben, was hat sich verändert? «Dinge, die mir vor ein paar Jahren noch wichtig waren, sind es jetzt vielleicht nicht mehr. Das kann erleichtern, im Hinblick aufs Jetzt und die Zukunft.»
Die Struktur des Notizbuchs hilft ihr, konsequent zu bleiben: «Ich schreibe täglich einen Eintrag immer vor dem Zubettgehen», sagt sie. Riesige Veränderungen habe das Dankbarkeitsbuch zwar nicht gebracht, aber, so Marson: «Das ist wie mit Sport, Yoga, Meditieren oder gesunder Ernährung – man weiss nicht, wie es einem ginge, wenn man das nicht regelmässig tut.»
Auf jeden Fall hat sich ihre Wahrnehmung fürs Positive im Alltag geschärft: «Anfangs war es noch schwieriger, jetzt sprudelt es.» Für besondere Ereignisse macht sie sich eine Randnotiz, etwa bei starkem Schneefall. Negatives klammert sie nicht aus: «Wenn mir etwas Unerfreuliches passiert ist, notiere ich es ebenfalls.» Der abendliche Dankeseintrag ist zum Ritual geworden – ein wertschätzender Abschluss des Tages. «Damit erde ich mich vor dem Einschlafen und lasse den Alltag los.»
Eine neue Form von Gebet
Solche Dankbarkeitsrituale lösen heute ein Stück weit das Gebet ab. «Dankbarkeit ist in vielen Religionen tief in der religiösen Praxis verankert», sagt die Religionswissenschaftlerin Dorothea Lüddeckens (58). «Es geht dabei um eine innere Haltung dem Leben gegenüber, und es bringt einen weg vom Klagen.»
Allerdings habe auch das Klagen Raum in Gebeten und sei wichtig: «Es kann helfen, einen Adressaten für seine Sorgen zu haben mit der Gewissheit, dass meine Klagen nicht verhallen, sondern wahrgenommen werden, ob von einem Gott oder dem Universum», sagt die Professorin der Theologischen Fakultät der Universität Zürich. Wichtig ist aber, dass man nicht im Jammern und damit in der Opferrolle steckenbleibt. Hier kommt die Dankbarkeit ins Spiel: «Wenn ich für etwas dankbar bin, es ausspreche oder aufschreibe, dann verstärkt sich das positive Gefühl, es bekommt mehr Kraft. Ausserdem vermittelt es mir das Gefühl, beschenkt worden zu sein. Etwas, wofür ich dankbar bin, nehme ich nicht einfach so hin. Mir wird dabei auch bewusst: so übel manches sein mag, das Leben oder Gott meint es auch gut mit mir.»
Wichtig sei dabei, dass ein Danke nicht nur eine Floskel ist. Das gilt zum Beispiel auch für das religiöse Tischgebet. Lüddeckens: «Wer bewusst dankt, das auch so fühlt, beginnt das Essen mit einer anderen Aufmerksamkeit. Anstatt mich über die Arbeit oder verkochte Nudeln aufzuregen, wird die Mahlzeit zu etwas, das nicht selbstverständlich auf dem Tisch steht.» Das gilt auch für das Danken, das man in seinen Alltag einwebt – ob gegenüber seinem Tagebuch oder in der Begegnung mit anderen Menschen.
Das Leben wird leichter – und länger
Dankbarkeit macht das Leben nicht nur leichter, sondern womöglich auch länger. Forscher der renommierten Universität Harvard haben herausgefunden, dass Dankbarkeit ein wichtiger Faktor für Langlebigkeit ist. Für die Studie wurden Daten von fast 50'000 Pflegefachfrauen mit einem Durchschnittsalter von 79 Jahren verwendet. Die Teilnehmerinnen füllten 2016 Fragebögen zum Thema Dankbarkeit aus. Drei Jahre später folgte die zweite Befragung. Dabei zeigte sich: Wer Dankbarkeit verspürt, hat ein neun Prozent geringeres Risiko zu sterben.
Laut Ying Chen, Hauptautorin der Studie, wurde damit erstmals empirisch nachgewiesen, dass Dankbarkeit nicht nur einen Einfluss auf die Psyche, sondern auch auf die körperliche Gesundheit hat: «Die Studie legt nahe, dass das Erleben von Dankbarkeit die Lebenserwartung älterer Menschen erhöhen kann.»
Aber damit nicht genug: Palliativmediziner Gian Domenico Borasio (62) hat am Universitätsspital Lausanne eine Studie durchgeführt, die zeigte, dass die Fähigkeit, Dankbarkeit zu empfinden und auszudrücken, eng mit der Lebensqualität am Lebensende zusammenhängt. Dankgefühl macht also nicht nur das Leben besser – sondern auch das Sterben.