Nio ET7 schon gefahren
Dieses E-Auto winkt dir zu

Chinas Elektro-Marke Nio startet in Europa. Die Elektro-Limousine ET7 fordert Mercedes EQS und Tesla Model S heraus. Mit Nomi im Cockpit unterscheiden sich die Chinesen von anderen.
Publiziert: 21.10.2022 um 04:57 Uhr
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Der chinesische Hersteller Nio hat seinem digitalen Assistenten ein Gesicht, eine weibliche Stimme und Pixelhändchen gegeben und ihn (oder sie?) Nomi getauft.
Foto: Nio
Martin A. Bartholdi

Ein Surren stört die Stille. Ich schaue mich in der Elektrolimousine um. Mir fällt nichts auf. Das Surren ist wieder verschwunden. Ich blicke zurück auf die Strasse und geniesse die Ruhe, die elektrisches Fahren entspannend macht.

Dann wieder dieses Surren, als würden Servomotoren etwas bewegen. Dieses Mal gucke ich auf die kleine Kugel auf dem Armaturenbrett. Zwei digitale Augen schauen zurück und zwinkern mir zu. Ich hatte Nomi vergessen. Der chinesische Elektroautobauer Nio hat seinem digitalen Assistenten im Auto ein Gesicht und eine weibliche Stimme gegeben.

Neues Familienmitglied

Nomi entstand aus der Sprachsteuerung fürs Infotainment. Statt den eigenen Markennamen als Schlüsselwort zu wählen, entschied sich Nio für den Weg von Amazon und Apple. Noch mehr als Alexa oder Siri soll Nomi und somit das Auto auch zum Familienmitglied werden. Deshalb kann sich Nomi in der Kugel in alle Richtungen drehen – und dieses Geräusch hatte ich gehört. Zu Beginn stört es etwas das stille Elektro-Fahrerlebnis, doch ich gewöhne mich schnell an Nomis Bewegungsablauf.

Der ET7 ist Nios Flaggschiff und rollt als erstes Modell ab sofort nach Europa. Mit 5,10 Metern Länge tritt er in der Oberklasse gegen BMW i7, Mercedes EQS oder Tesla Model S an. Die Optik prägt eine schnittige Front, ein aerodynamisches Fliessheck für mehr Reichweite sowie Kameras und Sensoren. Die Kameras versorgen die Assistenzsysteme mit acht Gigabyte Daten pro Sekunde!

Das Vorbild

Das Cockpit ist deutlich von Tesla inspiriert. Die digitalen Instrumente zeigen 3D-Modelle von allen Fahrzeugen, die sich im Umfeld des ET7 befinden, an. Das System kann gar Motorräder von Rollern oder Fahrrädern unterscheiden und erkennt auch Fussgänger. Alle Einstellungen erfolgen über den grossen Touchscreen unterhalb von Nomi. Auch die Menüs sowie die Bedienung erinnern stark an Tesla. Einziger Unterschied zum US-Elektropionier: Die Chinesen bieten auch ein Head-up-Display.

Bei der Materialwahl und der Verarbeitung haben sich die Chinesen an den deutschen Edel-Marken orientiert: Schöne Holzeinlagen, Leder oder nachhaltige Alternativen und Ambientebeleuchtung. Die Qualität stimmt und übertrifft die deutsche Konkurrenz teilweise. Nur bei den USB-Anschlüssen war Nio etwas knausrig. Zwei versteckt in der Mittelkonsole und im geräumigen Fond gibts nur einen.

So fährt der ET7

Je ein Elektromotor pro Achse mit total 652 PS (480 kW) Systemleistung und 850 Nm maximalen Drehmoment sorgen für standesgemässen Vortrieb. So beschleunigt der 2,4 Tonnen schwere Allradler in 3,8 Sekunden auf Tempo 100 und erreicht 200 km/h Spitze. Auf der deutschen Autobahn liegt der ET7 auch bei diesem Tempo ruhig auf der Strasse und vermittelt Vertrauen. Die Lenkung ist fast zu leichtgängig, aber präzis. Das Fahrwerk federt komfortabel Unebenheiten weg. Trotz der grossen Leistung hegt der ET7 aber keine sportlichen Ambitionen. Das unterstreicht Nomi, wenn sie sanft, aber unmissverständlich erinnert: «Sie fahren zu schnell für die Geschwindigkeitsbegrenzung.»

Es gibt für den ET7 vorerst zwei Akku-Grössen. Mit 75 Kilowattstunden (kWh) Kapazität muss der Nio nach 445 Kilometern, mit der 100-kWh-Batterie nach 580 Kilometern an die Steckdose. Dort kann der ET7 mit 130 Kilowatt schnellladen und die Akkus erstarken in 30 beziehungsweise 40 Minuten wieder zu 80 Prozent. Alternativ baut Nio gerade ein europaweites Netz von Batterie-Wechselstationen auf. In fünf Minuten lässt sich der leere gegen einen vollen Akku tauschen, während wir ähnlich einer Waschstrasse im Auto sitzen bleiben können.

Schweizer müssen noch warten

Wegen der Batterietausch-Möglichkeit bietet Nio den ET7 nur zur Miete an. Zumindest auf den ersten Märkten Dänemark, Deutschland, Niederlande und Schweden. Bis spätestens 2025 will Nio auch in der Schweiz aktiv werden. Die Details sind noch offen. Das gibt Nio genug Zeit, Schreib- und Übersetzungsfehler im deutschsprachigen Infotainment zu korrigieren. Aber abgesehen davon bieten die Chinesen mit dem ET7 eine starke Elektrolimousine, die sich nicht vor der Konkurrenz zu verstecken braucht.

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