Plötzlich will ein anderer Autofahrer ganz knapp vor uns die Spur wechseln – aber wir sind viel schneller und hinter uns wäre alles frei. Wir ziehen vorbei – und kassieren Lichthupe, Hupe und Mittelfinger. Später wollen wir selbst wechseln. Prompt macht das Auto schräg hinter uns die Lücke dicht. Hallo – darf der das?
Grundsätzlich: Wer die Spur wechseln will, muss warten! Der Verkehr auf der anderen Spur hat Vorfahrt. Wer Spuren wechseln will, hat früh genug zu blinken. Aber Blinken (alle Blink-Regeln hier) schafft kein Anrecht auf eine Lücke: Es ist nur ein Hinweis, keine automatische Vorfahrt. Wer wechselt, trägt eine besondere Sorgfaltspflicht und ist verantwortlich, dass andere weder behindert noch gefährdet werden.
Mitunter ist Höflichkeit falsch
Höflichkeit im Verkehr ist was Feines. Kann man Spurwechslern das Autoleben erleichtern, sehr gerne – es bringt keine Sekunde, eine Lücke dichtzumachen. Wer vorausschauend fährt, kann häufig erahnen, dass ein anderer wechseln will. Aber: Wer in einer Kolonne heftig in die Eisen steigt, um einen Spurwechsler reinzulassen, ist gegenüber Nachfolgenden unhöflich. Gefährlich ists obendrein.
Ein heisses Verkehrseisen sind Autobahn-Einfahrten. Da wird gerne geblinkt und direkt rausgezogen: «Der muss mir doch Platz machen!» Nein, er kann – aber er muss nicht. Soll er auch nicht, falls er stark bremsen oder heikle Spurwechsel vollführen müsste. Darum darf man notfalls auf dem Pannenstreifen weiter (mehr hier am Beispiel der per Standstreifen überholenden Camion-Chauffeurin).
Reissverschluss-Drücken ist tabu
Die einzige Ausnahme von der Regel ist seit Januar 2021 das verpflichtende Reissverschluss-Verfahren (alles dazu hier): Bei Stau und stockendem Verkehr auf mehrspurigen Strassen gilt bei Spurabbau oder Hindernis (z.B. Baustelle): einer von links, einer von rechts, einer von links. Dies im dichten Verkehr erst am Spurende und auch bei Autobahn-Einfahrten. Das hilft dem Verkehrsfluss sehr.
Also muss jedes Auto der weiterführenden Spur ein Auto reinlassen, sonst drohen 100 Franken Busse. Aber: Blockiert dennoch jemand, darf man sich als Einfädler die Lücke nicht mit Gewalt erdrängeln! Sonst kann man verzeigt werden und zahlt mehr als der Blockierer. Tönt ungerecht – also warum ist das so?
Behindern versus Gefährden
Der Hintergrund: Im Verkehr ist mit Fehlverhalten anderer zu rechnen und ganz generell Rücksicht zu nehmen. Fehler von anderen geben uns kein Recht, selbst Fehler zu begehen oder aggressiv zu reagieren. Behinderung (der Blockierer) ist ein weniger schweres Delikt als Gefährdung (Reindrücker). Und Reissverschluss ändert nichts am Prinzip: Der Spurwechsler trägt die Sorgfaltspflicht für dieses Manöver. Kracht es, zahlt darum in den allermeisten Fällen der Spurwechsler.
Ein anderes Beispiel zur Verdeutlichung: Ein Linksschleicher auf der Überholspur darf per (dezentem!) Lichtzeichen (Licht-Regeln hier) oder Hupe (mehr hier) zum Überholenlassen aufgefordert werden. Aber nie durch dichtes Auffahren: Weil der Linksfahrer passiv behindert, der Drängler aber aktiv gefährdet, ist der Drängler für sein schweres Delikt rechtlich vordringlich zu bestrafen und bezahlt mehr.
Kollision in der Mitte
Und wenn auf einer dreispurigen Autobahn einer von links und einer von rechts zur Mitte wechseln und es kracht? Tragen tendenziell beide Schuld. Kann man belegen, dass man als erster und mit Vorsprung gewechselt hat, kann das helfen – aber das lässt sich praktisch nicht zweifelsfrei belegen. Falls es nur knapp war? Ruhe bewahren und gelassen bleiben: Niemand von uns fährt ganz ohne Fehler.