Schweizer Öko-Innovation kommt noch 2021
Die Wasserstoff-Tankstelle für jedes Haus

Eine Schweizer Erfindung könnte das Hauptproblem für Wasserstoff-Autos lösen: die zu raren Tankstellen. Der Gashersteller Messer und die ETH Lausanne bringen jetzt die Wasserstoff-Tankstelle für daheim! BLICK zeigt exklusiv erste Pläne und kennt die Details.
Publiziert: 16.02.2021 um 02:00 Uhr
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Aktualisiert: 30.04.2021 um 13:19 Uhr
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Hans Kellner (55) ist CEO bei Messer, dem mit Abstand grössten Wasserstoff-Anbieter der Schweiz. Gemeinsam mit der EPFL ...
Foto: Messer Schweiz/zVg
Timothy Pfannkuchen

Da ist es wieder, das Henne-Ei-Problem: Wasserstoff gilt als Traumkandidat der grünen Energiezukunft. Als idealer Energiespeicher, mit dem man zudem den Elektromotor in Brennstoffzellen-Autos abgasfrei mit Strom befeuern kann.

Einziges Problem: Wer soll die Brennstoffzellen-Autos kaufen, wenn es praktisch keine Wasserstoff-Tankstellen dafür gibt? Zwar tut sich jüngst auch dank eines Fördervereins richtig viel – aber bis heute sind hierzulande erst fünf Wasserstoff-Tankstellen in Betrieb.

Schweizer Erfindergeist

Einen deshalb möglicherweise wegweisenden, ganz neuen Ansatz verfolgt die Wasserstoff-Tankstelle für daheim. Dank revolutionärer Schweizer Technik frisst sie keinen Strom, lärmt nicht und kostet auch nicht Unsummen wie eine grosse Tankstelle. BLICK enthüllt hier exklusiv die ersten Entwürfe der Neuerfindung. «Das Problem am Antrieb mit Wasserstoff bleibt die Infrastruktur», sagt uns Hans Kellner (55), CEO Messer Schweiz, «und die Heimtankstelle löst das.»

Hinter der Idee stecken zwei innovative Partner: Zum einen die ETH Lausanne VD (EPFL) samt ihrem Spin-Off GRZ. Zum anderen eben Messer Schweiz, der in Lenzburg AG sitzende hiesige Zweig der deutschen Messer Group. Mit 11'000 Mitarbeitenden ist diese einer der grossen Industriegas-Hersteller der Welt und der grösste Schweizer Wasserstoff-Anbieter. «Die EPFL hat in den letzten neun Jahren das Herzstück, also den Verdichter, entwickelt», erläutert Kellner: «Die Idee, eine Heimtankstelle zu machen, ist wie die Tankstelle selbst von uns.»

Ohne Strom und Lärm

Hintergrund der Innovation: Wasserstoff ist ein Gas. Es zuhause per Elektrolyse (Spaltung von Wasser in Sauer- und Wasserstoff) zu erzeugen, ist an sich kein Problem und mit Strom etwa von Solarzellen CO2-neutral möglich. Als Treibstoff muss Wasserstoff aber auf hohen Druck verdichtet sein. Dies geschieht per Kompressionskolben – was bisher massig Strom braucht und reichlich Lärm macht. Der EPFL-Verdichter «hat keine beweglichen Teile, braucht keinen Strom, macht keinen Lärm und ist dadurch auch im Privatbereich einsetzbar», betont Kellner: «Der Wasserstoff wird darin chemisch gebunden und durch die Zuführung von Wärme statt Strom wieder freigesetzt.»

Die Anlage ist etwas grösser als ein Gefrierschrank. Dank des neuen Speichermediums kann sie aber auch flach auf dem Boden liegend oder in die Hauswand integriert angebracht werden. Die benötigte Abwärme kann etwa aus Heizungsabgasen kommen oder mittels Wasserstoff erzeugt werden. So produziert die Anlage CO2-neutralen Wasserstoff für das Brennstoffzellen-Auto des Eigentümers. Und, wenn dieser das will, zum Verkauf an andere. Auch sicherheitstechnisch (mehr dazu hier) ist dies kein Problem.

Hauseigenes Kraftwerk

Doch wie lange geht es, bis das Auto befüllt ist? «Tanken dauert fünf Minuten. Der Verdichter speichert bis 15 Kilo pro Stunde, also knapp drei Tankfüllungen. Aber das kann der Kunde variieren», sagt Kellner. Am Ende hat man den eigenen Energiekreislauf daheim. Dreht sich Messer da nicht seinen eigenen Wasserstoff-Lieferantenhahn ab? «Nein», sagt Kellner, «wir sind ja bereits seit 1898 in dem Geschäft, und die Tankstellen sind für uns schlicht ein weiteres Standbein.»

Tönt dennoch nach ferner Zukunft – nur, dass die Pilot-Tankstelle in Lenzburg im ersten Quartal in Bau gehen und die Anlage noch 2021 zu kaufen sein soll! Der Preis? «Dazu ist es zu früh», sagt Kellner, «am Anfang ist es immer teurer.» Branchenexperten schätzen die Kosten auf eine hohe fünfstellige Summe, später vielleicht 30'000 Franken. Dafür ist man dann permanent von Spritkosten befreit.

Parallel dazu will die Autobranche die Brennstoffzelle dank grösserer Serien preislich auf das Niveau eines Akkus drücken, um beide Wege parallel zu fahren. Derzeit sind Brennstoffzellen-Autos zu teuer. Aber Fortschritte erkennbar. Der Hyundai Nexo kostet 89'900, der zuvor ebenso teure, erneuerte Toyota Mirai 59'900 Franken. Anbei: Brennstoffzellen-Autos haben wegen Umwandlungs-Verlusten den geringeren Wirkungsgrad als Batterieautos, die Effizienz liegt jedoch über Benzinern oder Dieseln (mehr hier) – und bei lokaler Wasserstoff-Erzeugung mit erneuerbaren Energien spielt dies eine untergeordnete Rolle.

Grössere Anlage geplant

Parallel baut Messer mit EPFL, Lonza und anderen Partnern im Wallis eine vom Bundesamt für Energie (BFE) geförderte Grossanlage nach demselben Prinzip. Wozu? Weil Industrie und Grossunternehmen zunehmend auf Wasserstoff setzen – etwa statt auf fossiles Erdgas. Hirngespinste? Von wegen: Versandriese Amazon etwa setzt im grossen Stil Brennstoffzellen-Gabelstapler für die Lager ein – weil sichs rechnet. Seit Sommer kann man auch bei uns Brennstoffzellen-Stapler von Linde Material Handling (LMH) kaufen. Wer die erwirbt, kann dank Schweizer Innovationsgeist nun quasi die eigene Tankstelle dazu erwerben.

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