1600 H2-LKW bis 2025
Die Schweiz wird zum Wasserstoff-Pionier

Mit dem Aufbau einer Lastwagenflotte und der nötigen Infrastruktur ist die Schweiz momentan im Begriff, zum weltweiten Pionier der Wasserstoff-Technik aufzusteigen. Die beiden Förderer Jörg Ackermann und Rolf Huber erklären im Interview, wie der Fahrplan aussieht.
Publiziert: 07.11.2020 um 02:48 Uhr
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Aktualisiert: 30.04.2021 um 13:19 Uhr
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In St. Gallen hat im Sommer 2020 die erst zweite öffentliche Wasserstoff-Tankstelle der Schweiz eröffnet. Sowohl LKW als auch Autos können dort Wasserstoff tanken.
Foto: zVg
Andreas Engel

Ein Glaubenskampf tobt derzeit über die Zukunft der individuellen Mobilität. Ziemlich sicher ist, dass wir sie elektrisch bestreiten. Aber speist sich der E-Motor in unseren Autos mit Strom aus einem Akku? Oder wird Wasserstoff (H2) mittels Brennstoffzelle im Auto umgewandelt, um es ebenfalls elektrisch anzutreiben? Während die Zahl der Ladesäulen für Elektroautos europaweit massiv steigt, hat in St. Gallen diesen Sommer die nach Hunzenschwil AG erst zweite öffentliche Wasserstoff-Tankstelle der Schweiz eröffnet. Noch in diesem Jahr sollen aber fünf weitere Stationen folgen und die Ost-West-Achse Genfersee-Ostschweiz erschliessen. Doch die Frage bleibt: Ist der Aufbau eines H2-Netzes überhaupt erfolgversprechend?

Rolf Huber, 55, CEO des Unternehmens H2 Energy sowie Jörg Ackermann, 62, Präsident des Fördervereins H2 Mobilität, sind nicht nur überzeugt vom Erfolg des Wasserstoffs, sie sagen auch unisono: «Ohne Wasserstoff ist die Energiewende gar nicht möglich!» Warum die Schweiz als Pioniermarkt für den Wasserstoff geradezu prädestiniert ist, wie der Fahrplan für die Umsetzung aussieht und warum sie nichts von staatlicher Förderung halten, erklären Huber und Ackermann im Interview.

Bereits 2016 hat in Hunzenschwil die erste öffentliche Wasserstoff-Tankstelle der Schweiz eröffnet. Es sollte der Startschuss für ein flächendeckendes H2-Netz sein. Warum hat es jetzt doch vier Jahre gedauert, bis Tankstelle Nummer zwei eröffnet hat?
Rolf Huber: Das lag sicher nicht an unserem mangelnden Willen. Uns war aber wichtig, ein kommerzielles Geschäftsmodell zu finden, das den Aufbau einer Tankstellen-Infrastruktur sicherstellt. So sind wir auf die Idee einer LKW-Flotte gekommen. Dafür mussten wir aber zuerst Partner finden, die solche Wasserstoff-Trucks für unsere Bedürfnisse entwickeln können. Mit dem Hyundai Xcient steht ein solches Nutzfahrzeug nun bereit.

Warum denn Last- statt erst mal mehr Personenwagen mit Brennstoffzelle?
Jörg Ackermann: LKW sind der eigentliche Schlüssel zum Aufbau eines H2-Tankstellen-Netzes. Momentan haben wir zwölf Trucks in der Schweiz, die für unsere Partner im Förderverein aufbereitet werden. Bis Ende Jahr soll die Flotte auf 50 Fahrzeuge wachsen, bis 2025 gar auf 1600 Fahrzeuge – das ist unsere grobe Zielvorgabe. Mit diesen LKW sorgen wir für eine konstante, planbare Grundauslastung. Wir sehen dann, wie viel Wasserstoff wir für den Betrieb tatsächlich brauchen und somit, welches Tankstellen-Netz.

Schweizer H2-Tankstellennetz

Mit insgesamt acht Wasserstofftankstellen bis Anfang 2021 ist die H2-Versorgung vom Boden- bis zum Genfersee erschlossen. Das Wallis, das Tessin und das Bündnerland sollen folgen.

Mit insgesamt acht Wasserstofftankstellen bis Anfang 2021 ist die H2-Versorgung vom Boden- bis zum Genfersee erschlossen. Das Wallis, das Tessin und das Bündnerland sollen folgen.

Sollen die Tankstellen auch die wasserstoffbetriebenen Autos fördern?
Ackermann: Auf lange Sicht ist es sogar das Ziel, das H2-Netz für PW aufzubauen. Das sehen Sie auch an den Zapfsäulen, welche auf 350 bar für LKW und 700 bar für PW ausgelegt sind. Wenn Kunden ein Wasserstoff-Auto kaufen, können sie es also betanken.
Huber: Sämtliche Tankstellen-Partner rechnen damit, dass die PW in einigen Jahren aufholen. Wenn es erst einmal genügend auf unseren Strassen gibt, werden die LKWs dann in den Betriebszentralen betankt und müssen nicht mehr extra zu H2-Tankstellen fahren.

Wie teuer ist ein solcher Wasserstoff-Truck in der Anschaffung und im Betrieb verglichen mit einem Diesel-LKW?
Ackermann: Den Hyundai Xcient kann man nicht kaufen im Sinne einer Investition. Es handelt sich um ein Pay-per-Use-Modell: Hyundai stellt den LKW zur Verfügung, und die Betreiber zahlen pro Kilometer eine Gebühr, in der alles – vom Treibstoff über Unterhalt bis Versicherung – eingeschlossen ist. Im Anhängerbetrieb mit grosser Laufleistung von 80’000 Kilometern im Jahr und unter Anrechnung der Schwerverkehrsabgabe, von der die Trucks aufgrund Elektro-Antrieb befreit sind, sind die Kosten nicht viel höher als bei einem Diesel.

Sie sagen, die Schweiz sei das Land mit der ersten kommerziellen Nutzung einer H2-LKW-Flotte weltweit. Ist die Schweiz als Pioniermarkt nicht etwas zu klein?
Huber: Das Ziel von H2 Energy ist es natürlich nicht, bis in alle Ewigkeit ausschliesslich den Schweizer Markt zu bedienen. Doch als Pionierland eignet sich die Schweiz hervorragend, denn wenn Sie so einen grossen Schritt wagen, müssen Sie immer davon ausgehen, dass Fehler passieren. Und Verbesserungen lassen sich in einem kleineren, überschaubaren Rahmen viel einfacher vornehmen als auf einem grossen Markt.
Ackermann: Zudem haben wir in der Schweiz ganz besondere kulturelle Voraussetzungen. Im Förderverein können wir uns auch mit Mitbewerbern an einen Tisch setzen und eng zusammenarbeiten, was in anderen Ländern in dieser Form nicht möglich wäre. Und wir haben auch keine wirtschaftspolitischen Interessen, weil wir ja – leider, muss man sagen – keine Industrie haben, die solche LKW herstellt. Nicht zu vergessen ist die Topographie der Schweiz mit all den Höhenunterschieden und klimatischen Bedingungen. Bekommt man die Fahrzeuge hier in den Griff, gibt es kaum einen anderen Ort, wo man es nicht schaffen kann.
Huber: Viele sagen immer: Hier in der Schweiz fängt doch der Klimaschutz nicht an, wir stossen sowieso kaum CO2 aus im Vergleich zum Rest der Welt. Und jetzt haben wir ein Projekt, das weltweit führend ist, und alle schauen auf uns und sehen, dass es machbar ist. Das zeigt, dass die Schweiz eben doch Wirkung erzeugen kann, auch ohne Autoindustrie.

Wie wird grüner Wasserstoff produziert?

Um Wasserstoff CO2-neutral herzustellen, kommt heute üblicherweise die sogenannte Elektrolyse zum Einsatz: Dabei wird Wasser mit Hilfe von Strom in seine Bestandteile Sauerstoff und Wasserstoff zerlegt. Die Elektrolyse muss dabei mit nachhaltig produziertem Strom aus Wasser-, Wind- oder Solarenergie betrieben werden.

Um Wasserstoff CO2-neutral herzustellen, kommt heute üblicherweise die sogenannte Elektrolyse zum Einsatz: Dabei wird Wasser mit Hilfe von Strom in seine Bestandteile Sauerstoff und Wasserstoff zerlegt. Die Elektrolyse muss dabei mit nachhaltig produziertem Strom aus Wasser-, Wind- oder Solarenergie betrieben werden.

Was stempelt Wasserstoff als Zukunftslösung?
Huber:
Sein grösster Vorteil ist die Vernetzung zum Energiemarkt. Heutige fossile Energie nehmen wir aus dem Boden – dort ist sie schon seit Millionen von Jahren in Form von Öl, Kohle oder Gas gespeichert. Das ist die alte Welt. In der neuen, in unserer Welt, ist es komplizierter: Das Potenzial zum Herstellen von erneuerbarer Energie etwa mit Wasserkraftwerken oder Photovoltaikanlagen ist riesig – der Bau solcher Produktionsanlagen findet aber nur statt, wenn wir die Energie auch speichern und transportieren können – dafür ist Wasserstoff prädestiniert! Schon vor zehn Jahren, als wir erstmals zusammensassen, wurde uns klar: Ohne Wasserstoff ist die Energiewende gar nicht möglich.

Und woher kommt der grüne Wasserstoff für die Tankstelle hier in St. Gallen?
Huber:
Bisher wird der Wasserstoff noch im Laufwasserkraftwerk in Niedergösgen im Aargau produziert und dann in Druckspeichern hierher transportiert. Wir überbrücken damit die Zeit, bis unsere Produktionsanlage am hiesigen Wasserkraftwerk Kubel bewilligt, erstellt und betriebsbereit ist. Ab Ende nächsten Jahres können wir dann von hier aus die gesamte Ostschweiz mit erneuerbar produziertem Wasserstoff versorgen.

So funktioniert ein Wasserstoffauto

Was bei konventionellen Autos der Motor ist, ist im H2-Auto die Brennstoffzelle: In den millimeterdünnen Zellen entsteht Strom, wenn Wasserstoff und Sauerstoff zusammentreffen. Der Strom wird wie beim Elektroauto für den Antrieb eines E-Motors genutzt – ein grosser Akku aber ist überflüssig. Als einziges Abgas entsteht Wasserdampf! Die Kosten für die bislang einzigen zwei zum Kauf angebotenen Autos sind allerdings wegen der teuren Brennstoffzelle hoch: Hyundai Nexo (Bild) und der Toyota Mirai kosten je 89’900 Franken.

Was bei konventionellen Autos der Motor ist, ist im H2-Auto die Brennstoffzelle: In den millimeterdünnen Zellen entsteht Strom, wenn Wasserstoff und Sauerstoff zusammentreffen. Der Strom wird wie beim Elektroauto für den Antrieb eines E-Motors genutzt – ein grosser Akku aber ist überflüssig. Als einziges Abgas entsteht Wasserdampf! Die Kosten für die bislang einzigen zwei zum Kauf angebotenen Autos sind allerdings wegen der teuren Brennstoffzelle hoch: Hyundai Nexo (Bild) und der Toyota Mirai kosten je 89’900 Franken.

Wasserstoff als Treibstoff der Zukunft hört sich sinnvoll an. Dennoch scheint es die Brennstoffzelle bei den Autoherstellern noch schwer zu haben: Ausser Hyundai und Toyota bietet bei uns niemand normal kaufbare H2-Autos an. Wird sich das ändern?
Huber:
Die Forschung dazu läuft auf Hochtouren. Die EU fördert entsprechende Projekte mit Milliarden, Daimler und Volvo haben soeben eine Kooperation bei Brennstoffzellen für schwere Nutzfahrzeuge bekannt gegeben, BMW möchte in den nächsten Jahren ein H2-Auto auf den Markt bringen. Und dann gibt es auch europäische Grossfirmen wie den Zulieferer Bosch, der eigene Brennstoffzellen-Stacks entwickelt. Ausserdem, das wird unterschätzt, hat auch China grosse Ambitionen, beim Thema Wasserstoff führend zu werden.

Was ist denn der Vorteil von H2-Autos im Vergleich etwa zu Elektroautos?
Ackermann:
Einer der grössten Vorteile ist, dass sich Wasserstoffautos bei der Anwendung kaum von Benzinern oder Dieseln unterscheiden: Das Tanken dauert nur wenige Minuten, eine Tankfüllung reicht für 500 bis 700 Kilometer, und die Autos sind auch bei kühlen Temperaturen anders als batterieelektrische Autos nicht eingeschränkt. Wir sagen nicht, dass alle H2-Autos fahren müssen und batterieelektrische Fahrzeuge per se schlecht sind. Es gibt aber unterschiedliche Bedürfnisse, und wir wollen mit dem Projekt die Möglichkeit schaffen, dass H2-Autos ebenfalls zum Einsatz gelangen können.

In der Bevölkerung wird Wasserstoff immer noch als Gefahrstoff wahrgenommen …
Huber:
Unabhängige Experten kommen zum Schluss, dass H2-Fahrzeuge sogar sicherer sind als Autos mit Verbrennungsmotor. Natürlich hantieren wir mit grossen Energiemengen und hohen Drücken in den Tanks, und deshalb gibt es strenge Sicherheitsvorkehrungen, die eingehalten werden müssen. Doch dass Wasserstoff explodieren kann, ist ein Mythos.

Neben normalen Tankstellen und der Ladeinfrastruktur für E-Autos wird jetzt mit den Wasserstoff-Zapfsäulen noch ein drittes Netzwerk an Tankstellen aufgebaut. Hätte es nicht mehr Sinn gemacht, etwa auf synthetische Kraftstoffe zu setzen?
Huber:
Das Problem bei synthetischen Kraftstoffen, also e-Fuels, sind die Kosten: Um diese runterzukriegen, brauchen Sie günstigen Wasserstoff. Dafür müssen Sie wiederum grosse Mengen H2 produzieren – genau das, was wir jetzt auszubauen versuchen. E-Fuels sind vereinfacht gesagt eine veredelte Form von Wasserstoff. Warum also synthetische Kraftstoffe herstellen, wenn wir schon unveredelten Wasserstoff zum Antrieb nutzen können? Das würde alles nur teurer machen. E-Fuels sind aus meiner Sicht eher interessant für Flugzeuge oder grosse Frachtschiffe, die enorme Mengen an Treibstoff brauchen.
Ackermann: Bei der Ladeinfrastruktur ist es ausserdem so, dass alle Schnellladestationen, die Sie bei uns auf der Strasse sehen, staatlich gefördert werden – unsere Zapfsäulen nicht! Nur weil die Autoindustrie nun auf Elektroautos setzt, dürfen dafür Steuergelder verbraten werden? In einem liberalen Land darf doch jeder selber entscheiden, wo man investiert. Wir tragen das Risiko und machen letztlich den Strauss an Mobilitätsangeboten reichhaltiger.

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